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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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immerhin 2540 Gramm. Und wenn sie die Gene ihrer Mutter hat, schafft sie das locker.« Mit diesen Worten wandte sich Professor Aigner zum Gehen.
    »Sie hat auch die Gene ihres Vaters«, rief Stefan ihm noch nach. »Natürlich schafft sie das!«
    »Lass mal sehen, ob man den Zwilling noch erkennt!«
    Mein medizinisches Interesse hatte den Mutterfreuden nur kurz den Vortritt gelassen. Interessiert betrachteten wir die Nachgeburt, aber da war nichts mehr von dem Zwilling zu sehen. Da war alles resorbiert.
    »Die Veranlagung zu Zwillingen hast du«, verkündete Susanne. »Das hat auch der Professor gesagt.«
    »So. Der Professor. Hat er das.« Stefan wollte sich
jetzt nicht in seinen Vaterfreuden stören lassen und wiegte sein Töchterchen verliebt in den Armen.
    Auch ich konzentrierte mich voller Dankbarkeit und Freude auf meine kleine Tochter, die ein Einling war.
    Wir gaben ihr den Namen CATHERINE.

12
    Nachdem ich Catherine lange genug als Mutter bestaunt hatte, untersuchte ich mein kleines Bündel Mensch als Medizinerin: Sie war zwar nicht im gefährlichen Sinne ein Frühchen, aber im Vergleich zu anderen Neugeborenen einfach eine Miniaturausgabe! Ihr Köpfchen hing schief, ihre Wirbelsäule war nicht gerade, und obwohl mir sämtliche Kollegen immer wieder versicherten, dass alles in bester Ordnung sei, ging ich Stefan so lange auf die Nerven, bis er sich bereit erklärte, mit mir und der Mini in die Cnopf’sche Kinderklinik zu fahren.
    Diese Kinderklinik war das Lebenswerk des Nürnberger Arztes Julius Cnopf. Er hatte sich 1863 vor allem der Behandlung armer Kinder verschrieben, um so die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit zu senken. Er kümmerte sich kostenlos um die Winzlinge und ihre hilflosen Mütter - ein Arzt, der mir schwer imponierte und bis heute ein Vorbild ist.
    In seiner ehemaligen Kinderklinik bestätigte man mir, was ich im Kreißsaal schon mit bloßem Auge erkannt hatte: das arme, frisch geborene kleine Menschlein brauchte spezielle Gymnastikübungen zur Stärkung des Rückgrats und zur besseren Ausbildung der
Gelenke und Muskeln. Was bei einem normalen Baby bereits ausgebildet ist, wenn es in der vierzigsten Woche zur Welt kommt, muss bei einem Frühchen oft schmerzhaft antrainiert werden. Man verschrieb unserer Mini viermal täglich eine halbe Stunde Vojta-Gymnastik - eine Prozedur, die der Kindesmisshandlung schon recht nahekommt.
    Das war ein Albtraum für meine Mini und auch für mich. Man muss bestimmte Punkte stimulieren, woraufhin die Kleinen reflexartig gebahnte Bewegungen machen. In unserem Fall war es gewollt, dass unsere Minimaus sich aufrichtete, und das unter großen Schmerzen. Sie schrie, und ich weinte gleich mit. Zum ersten Mal stand mir Stefan nicht bei. Er musste sich wieder auf seine Gewerbeimmobilien und Baugenehmigungen konzentrieren. Ich verdiente schließlich schon seit Monaten nichts, und von irgendwas mussten wir ja leben!
    Nach einigen Tagen durfte ich mit meinem hilflosen Töchterchen nach Hause. Inzwischen hatten wir in Bayreuth eine Wohnung auf einem Billi-Dach bezogen. Der Graf hatte wieder mal einen Supermarkt nach amerikanischem Vorbild gebaut und obendrauf das Büro für sich und Stefan sowie eine Wohnung für uns gleich mit. Jedenfalls hatten wir eine riesige Dachterrasse auf dem Flachdach des Discounters! Und hier saß ich nun, irgendwo in Oberfranken, mit Aussicht auf den Supermarktparkplatz und den Kreisverkehr vor der Tankstelle. Die Hansestadt Hamburg mit ihren Prachtalleen an der Alster erschien mir so weit weg wie
der Mars. Aber man muss auch das Positive sehen. Zum Einkaufen hatte ich es nicht weit. Nicht umsonst stand ich auf moderne Lebensmittelmärkte. Immer frisches Obst, toller Wein - ja sogar Riesengarnelen waren quasi bei uns im Untergeschoss zu haben. Und tatsächlich schob ich den Kinderwagen manchmal nur so durch die hell erleuchteten Gänge. Draußen war es kalt und dunkel, der Regen peitschte über die trostlose Umgebung, und ich lief wie Nicole Kidman in »Die Frauen von Stepford« durch diese heile, musikumspülte Warenwelt.
    Stefan turnte zwischen seinem Riesenbüro und seiner praktischen Familienwohnung rauf und immer runter. Ich tröstete ihn, wenn es Probleme gab, und tröstete die Minimaus. Es war eine merkwürdige Dreierbeziehung: Mini, mit ihrem Geschrei und den stinkenden Windeln und Stefan im Nadelstreifenanzug vor dem Spiegel. Ich selbst im Schlabberlook mit Still-BH befand mich irgendwo dazwischen. Ich hatte tiefe Ringe unter

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