Himmel und Hölle
die denkbar schlechteste Beraterin für eine Abtreibung!
Einmal kam eine Russin zu mir, sie war in der zwölften Woche, und ihr Mann war stinksauer, dass sie »nicht aufgepasst« hätte. Solche Leute kommen mir ja gerade recht! Ich bestellte den Mann zu mir und fragte ihn, ob das nicht viel eher seine Sache sei. Die beiden
hatten schon drei Kinder und waren finanziell nicht besonders gut gestellt.
Der Mann bestand darauf, dass seine Frau das Kind abtreibt. Er wollte unbedingt eine Adresse haben, beziehungsweise aus Kostengründen eine Überweisung ins Krankenhaus. Er wollte, dass ich den Abbruch medizinisch verschreibe.
In solchen Fällen spricht man von einer »sozialen Indikation«, der Arzt oder die Ärztin befürwortet einen Abbruch aufgrund der sozialen Lage.
»Wir sind arme Leute«, bellte er mit seinem harten Akzent. »Können uns noch mehr Kinder nicht leisten!«
»Ich bekomme gerade selbst ein drittes und viertes Kind«, erklärte ich dem aufgebrachten Kerl. »Und wir haben es finanziell auch nicht so dicke.«
Er murmelte irgendetwas Russisches, das ziemlich erbost klang.
»Natürlich kosten Kinder wahnsinnig viel Geld«, versuchte ich ihm Verständnis für seine eigenwillige Geisteshaltung entgegenzubringen. »Aber Kinder geben dir viel mehr, als sie dir nehmen.«
Die Augen der Frau schwammen in Tränen.
Da wusste ich, dass sie das Kind wollte.
Ich schickte den Mann nach draußen, weil ich die Frau untersuchen wollte. »Wir haben schon drei Töchter, ich kann wohl nur Mädchen bekommen!«
Zum Glück war die Patientin knapp über die zwölfte Schwangerschaftswoche. Sie hatte instinktiv lange genug gewartet, um eine Abtreibung illegal zu machen.
Als wir dies ihrem Mann eröffneten, tobte er wie ein Stier. Wahrscheinlich sah er nur in Anbetracht meines Zustandes davon ab, hier handgreiflich zu werden.
Ich gab der Russin den Zettel mit der Adresse eines Frauenhauses. Die Russin brauchte die Adresse wirklich. Sie zog mit ihren drei kleinen Töchtern dort ein.
Sie bekam das vierte Kind. Es war ein Junge.
Daraufhin nahm der Russe seine Frau mitsamt den Kindern wieder auf.
Zurzeit ist sie wieder schwanger. Mit dem fünften Kind.
Weil der Russe auf einen zweiten Sohn hofft.
Eine andere Patientin kam im sechsten Monat zu mir. Ihr Mann, so teilte sie mir mit, habe einen Herzfehler, und sie hätte so ein ungutes Gefühl. Wir machten einen Missbildungs-Ultraschall. Das Kind hatte einen offenen Rücken. Das war weitaus schlimmer als eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte. Dieses Kind hätte nie richtig laufen können, wäre zum Teil gelähmt gewesen, hätte keine Blasen-Darm-Kontrolle gehabt. Die Mutter entschied sich schweren Herzens für einen Schwangerschaftsabbruch.
Ich habe sie in die Klinik überwiesen, wo man die Geburt einleitete.
Das muss für diese junge Frau die absolute Hölle gewesen sein. Sie musste das Kind »ganz normal« auf die Welt bringen. Mit allem, was dazugehört, also unter fürchterlichen Schmerzen und heftigen Wehenkrämpfen. Nach vier Stunden kam der Mutterkuchen vollständig raus. Das Kind hat nicht gelebt.
Ich war traurig drüber, aber gleichzeitig doch erleichtert. Denn natürlich kommt es im sechsten Monat vor, dass Kinder eine solche Frühgeburt überleben. Wenn das Kind geatmet hätte, hätten die Kollegen in der Klinik ein großes Problem gehabt.
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Geburtshilfe ist - und das klingt jetzt wahrscheinlich überraschend - in der Regel total langweilig für den Gynäkologen: Normalerweise wird man in den letzten fünf Minuten gerufen, und keiner will einen: Die Hebamme nicht, die Mutter nicht, und meist ist es mitten in der Nacht. Ich habe das in meinen Nachtdiensten oft erlebt. Man stört nur, wenn man am Ende auch noch auf der Matte steht.
Normalerweise schaffen die Hebammen und Mütter das nämlich ganz allein.
Normalerweise.
Ich rate allen Schwangeren trotzdem, in einer Klinik zu entbinden, die eine Kinderklinik hat. Denn WENN es zu Komplikationen kommt, muss der Kinderarzt in Kliniken ohne Kinderklinik erst herbeitelefoniert werden. Da stehst du dann als Gynäkologe und intubierst einen kleinen Spatz, der gerade mal fünfhundert Gramm wiegt - nein danke!
Und weil wir gerade beim Thema sind: Ich würde nie als niedergelassener Arzt entbinden. Als Arzt in der Klinik hast du alles vor Ort, schaust du dir das CTG mit den kindlichen Herztönen an, und wenn die in Ordnung sind, gehst du wieder. Gibt es Probleme, hast
du ausreichend Zeit für Kontroll-,
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