Himmel und Hölle
Fleisch und Blut übergegangen.
»Ihr Vater hat gerade auf dem Handy angerufen. Ich bin drangegangen. Ihre Mutter wollte wissen, wie es Ihnen geht. Ich sagte, gerade nicht so toll.«
»Wir schaffen das«, leierte ich mechanisch Stefans Lieblingsspruch herunter.
»Das habe ich Ihren Eltern auch gesagt.«
»Ich ruf sie später an. Wähl mal Stefans Nummer für mich.«
Mit je einem Zwilling am Busen erklärte ich Stefan, was Sache war.
Er hielt sich gerade in Berlin auf und hatte sich mit englischen Immobilieninvestoren im Café Einstein getroffen. Ich sah direkt vor mir, wie er am Brandenburger Tor gerade wieder in seinen Wagen stieg. »Stefan, ich habe Gebärmutterhalskrebs!«
Kurze Zeit war Ruhe im Kanal. Dann: »Wer sagt das?«
»Aigner!«
Stefan war sekundenlang geschockt.
Dann sagte er die Worte, die ich schon tausendmal von ihm gehört hatte: »Wir schaffen das, Konstanze. Wir schaffen das!«
»Ich kann jetzt nicht, Stefan. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe.«
Plötzlich kamen die Tränen.
Nicole nahm mir das Handy ab und verstaute es in meiner Handtasche.
Er rief zurück. Nicole hielt mir das Handy noch mal hin.
»Stefan!«
»Wir schaffen das!«, schrie Stefan verzweifelt in den Hörer.
»Du gehst mir auf den Geist!«, brüllte ich zurück.
»Ich will den Aigner sprechen!«, schrie Stefan, der offensichtlich schon wieder mit hundertfünfzig Sachen in Richtung Autobahn raste.
»Er will dich aber nicht sprechen!«
Aigner warf mir nur einen flüchtigen Blick zu, während er mit den Kollegen meine Operation vorbereitete, die schon für den nächstmöglichen Termin, nämlich
Montagmorgen um acht, anberaumt worden war. Mir blieb gar keine Zeit, lange darüber nachzugrübeln.
»Sag Aigner, dass wir noch eine zweite Meinung einholen!«
So war mein Stefan immer. Penetrant bis zum GEHT-NICHTMEHR. Dabei meinte er es ja nur gut. Er wollte wie immer nur mein Bestes.
»Dafür ist keine Zeit mehr.«
»Gib ihn mir ans Telefon! Ich will ihn sprechen!«
»Das beruht leider nicht auf Gegenseitigkeit!«
»Er soll mir das erklären! Damit ich das mit einem anderen Gynäkologen besprechen kann!«
»Wenn der Aigner das sagt, ist das so. Da gibt es nichts mehr zu diskutieren!«
Ich legte auf. Mein Puls war auf zweihundert. Was gingen mir diese Durchhalteparolen plötzlich auf den Geist! Was sollte ich denn noch alles schaffen? Hatte ich nicht schon genug geleistet? Stefan hatte gut reden! Diese ganzen Sprüche hatte er in schlauen Büchern gelesen, als er Marathon lief und barfuß über glühende Kohlen ging. Oder beim Bund rohe Fische aß und im Wald Bäume anbrüllte. Aber das war doch alles nur ein Spiel! Ein Männer-Spiel, ein Indianer-Spiel.
Das, was ich hier erlebte, war kein Spiel. Das war die HÖLLE.
Und ich saß mittendrin.
27
»Sie wollen doch keine Kinder mehr, oder?«
Plötzlich kreuzte Professor Aigner wieder auf.
Ich schüttelte stumm den Kopf. Ich wollte nur am Leben bleiben.
»Dann nehmen wir am Montag die Gebärmutter raus.« Er sah auf die Uhr, inzwischen war es Freitagnachmittag halb drei. »Um sechs Uhr finden Sie sich hier nüchtern ein. Ach, was rede ich denn da! Sie wissen selbst am besten, was Sie zu tun haben. Noch besser wäre es natürlich, Sie würden gleich bleiben. Aber in Ihrem Fall …« Er wies mit dem Kinn auf die Zwillinge.
»Chef, ich stille voll. Die beiden Kleinen sind auf mich angewiesen …«
»Sie können am Montagmorgen noch ein letztes Mal stillen. Wir werden die Medikation darauf einstellen. Dann lasse ich Sie in den OP fahren.«
»Aber wenn ich aufwache, stille ich weiter?«, fragte ich hoffnungsvoll und schämte mich gleichzeitig für meine Penetranz. Aber was konnten denn meine Zwillinge dafür? Sollten sie etwa verhungern?
Der Professor zuckte zusammen und schloss die Augen.
»Ich mache Ihnen wieder Scherereien«, versuchte ich noch zu witzeln.
»Das ist bei Ihnen nichts Neues.«
Ich schämte mich schrecklich. »Also, kann ich am Dienstag wieder stillen? Nur, damit Nicole weiß, was sie erwartet.«
»Frau Doktor!«, sagte Professor Aigner ernst. Sein Ton war bestimmt, aber liebevoll. »Ich muss mich vergewissern, ob Niere und ableitende Harnwege gestaut sind. Dafür müssen wir Ihnen ein Kontrastmittel spritzen. Danach hat sich das mit der Stillerei erledigt. Sie wissen ja, dass dieses Zeug in die Muttermilch übergeht.«
»Ich will die Zwillinge weiterstillen«, beharrte ich trotzig. »Meine beiden Großen habe ich auch voll
Weitere Kostenlose Bücher