Himmelreich
weigere mich, mich finanziell an dieser Entführung zu beteiligen, und schalte auf stur, selbst an den Tankstellen. Die endlose Scheinwerferlawine des entgegenkommenden Verkehrs. Wir fahren langsam. Mit der Zeit wird es dann trotzdem gemütlich. Das Brummen des Motors, das sanfte Schütteln, die Lichter, die über die Scheibe ziehen, die Stimme von Diana Krall aus dem Lautsprecher. Ich stelle mir vor: Ebensogut hätte ich im Flieger nach New York sitzen können, irgendwo über dem Atlantik, ein Glas Merlot, viel Mineralwasser wegen der trockenen Luft.
Time to Destination: 4 Hours 14 Minutes.
Alles Imagination.
Alles!
Ich bin doch abgeflogen.
Ich bin vorhanden, in diesem viel zu breiten und viel zu gelenkigen Sitz, das sehe ich selbst. Der Merlot, den sie auf diesem Flug servieren, ist alles andere als raffiniert. Es sind Flaschen, wie man sie in den Supermärkten findet, und so kommen mir auch die Flight Attendants vor. Raffinierter ist nur das Mineralwasser.
Ich halte nichts von Gedankenflügen. Keine Ahnung, was das Hirn tut, wenn es tagträumt. Es hört einfach auf, Informationen nach den Grundsätzen der Logik zu verarbeiten. Das mag einen gewissen Reiz haben, Reiz der Phantasie, bleibt aber unergiebig, weil unrealisierbar. Es kommt mir dann vor wie ein Schneesturm in der Arktis: Jede Richtung gleichbedeutend, und jede führt ins Nichts. Phantasie im Design, meinetwegen, in der Kunst, ja, Phantasie als Innovation in der Wirtschaft, aber doch nicht im Leben! Außerdem halte ich nichts von der Vorstellung, jedermann müsse im Geist kreativ werden. Natürlich braucht es Visionen. Aber doch keine Märchen. Wer sich laufend alternative Lebensentwürfe ausdenkt oder, noch schlimmer, kitschige Geschichten zusammenspintisiert, kommt zu gar nichts mehr. Wir können unser Leben doch nicht aussuchen wie die Schriftsteller ihre Storys. Das Leben ist nun einmal keine Buchhandlung. Ich kann mein Inneres nicht umkrempeln, tut mir leid. Ich bin, der ich bin. Natürlich bin ich dafür, daß man sein Leben hinterfragt, daß man es aus der Distanz betrachtet, aus verschiedenen Perspektiven, daß man es auf Optimierung hin abklopft. Ich habe nichts dagegen, wenn man seinen Gedanken freien Lauf läßt. Bitte! Nur soll man es nicht übertreiben. Alles stets eine Frage der Realisierbarkeit. Was wäre gewonnen, wenn ich mir eine Existenz als Künstler, Bonvivant oder Casanova ausmalen würde? Ich bin es nicht, ich bin Manager, Topmanager, und nicht unglücklich dabei. Was nützt es mir, wenn ich mir einen sprechenden Hasen mit Taschenuhr vorstelle oder fliegende Fische oder eine Entführung mit Josephine? Die Gefahr, eine Frau zu idealisieren, nur weil sie schön ist. Nein, die Geschichte mit Josephine ist nicht realisierbar. Josephine ist ein Tagtraum, ein Luftschloß, eine Eingebung, ein Funke, eine Offenbarung, und das soll sie auch bleiben.
Ich kann mir viel vorstellen, aber keine Reise mit Josephine!
Und was mich im Moment fertigmacht, ist nicht so sehr die magnetische Kraft dieses Gedankens, sondern dieses Hin und Her zwischen Wirklichkeit und Vorstellung, wobei man nie genau weiß, wo die Vorstellung und wo die Wirklichkeit liegt, dieses andauernde Wechseln, das nichts als Reibung und Hitze in meinem Kopf produziert. Ich drehe die Luftdüse voll auf und richte sie so aus, daß der Luftstrahl direkt auf meinem Schädel zersprüht.
»Sie müssen viel trinken auf so einem Flug. Die Luftfeuchtigkeit gerade mal zwei Prozent. Das ist weniger als in der Sahara. Bei minus 40 Grad wird sie angesogen, dann über die Turbine auf plus 22 Grad geheizt und in die Kabine gepumpt. Sie können sich ja vorstellen, daß die Feuchtigkeit dabei auf der Strecke bleibt.«
Basler, mein Sitznachbar, das habe ich sofort an seinem Dialekt festgestellt - ein Dialekt übrigens, den nur wenige Schweizer anstößig finden. Ich lächle zurück, ohne ein Wort meinerseits, mehr ein Nicken als ein Lächeln, ein Zustimmen aus purer Höflichkeit, mit der Absicht, ihn abzuwimmeln. Was ich erfahre: daß er Pilot ist, wenn auch heute als Passagier unterwegs. Luftfrachtpilot, daneben Fluglehrer an einer kleinen Flugschule in New Jersey - Teterboro. Business Class, weil die Dame am Gate, die entzückende Blondine, wie er sie bezeichnet, offenbar zu seinem weiblichen Gefolge gehört, daher das kostenlose Upgrade. Was mich irritiert, sind nicht so sehr seine Kommentare zur Fliegerei - wieviel Ps pro Triebwerk, die Reichweite, ab welcher Höhe der Autopilot
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