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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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erlaubt und so weiter - das weiß ich nach Jahren des Umherjettens entweder auch oder es interessiert mich nicht. Es ist sein junges Gesicht, sein prächtiges, schwarzes und mit viel Pflege modelliertes Haar, diese ergreifende Art seines Blicks, seine hellen, wäßrigblauen, geradezu erschreckend durchsichtigen, schönen Augen, Augen, die wie fürchterliche Juwelen sind. Natürlich trägt er als Pilot keine Brille. Dabei ist er noch keine Dreißig, schätze ich. Was er liest, während ich lese, ich sehe es genau, wenn ich über die Ränder meiner Lesebrille schiele, sind Checklisten - »Vi, Rotate, Positive Rate of Climb, Gear up, Climb Power Set«.
    Es gehe um Sicherheit, meint er, als er bemerkt, daß ich hinüberschiele, und ich kann dem nur zustimmen; dabei versuche ich, jeglichen Augenkontakt zu vermeiden.
    Unterdessen studiere ich mein neues Organigramm.
    »Viermal 7500 PS. Macht 30 000 PS. Haben Sie sich das mal ausgerechnet, welche Kraft uns momentan antreibt? Im Zweiergeschirr ergäbe dies ein Pferdegespann von Zürich nach Basel.«
    Organigramm der Manhattan Finance Corporation. Ich versuche mir die Namen einzuprägen, wenigstens der zweiten und dritten Führungsebene. Namen sind wichtig, im Management nicht zu unterschätzen, man preßt zehnmal mehr Leistung aus Leuten, deren Namen man kennt, als aus namenlosen Untergebenen.
    »Ich finde, die Analogie sagt sehr viel aus über den Stand der Technik«, sagt er, einen Kommentar zu seiner Pferdegespann-Feststellung erwartend.
    Ich hebe meinen Blick nicht von meinem Organigramm. Es zeigt mich an der Spitze, im ersten Kästchen. Zum ersten Mal in meinem Leben.
    »Soll ich Ihnen erklären, wie so ein Jet-Triebwerk funktioniert, wie die 7500 PS pro Triebwerk zustande kommen? Ich kann es Ihnen gern erklären.«
    Ich weiß, wie ein Jet-Triebwerk funktioniert. Was ich bis heute nicht verstehe: wie Seife funktioniert. Oder die Frau.
    Langsam geht er mir auf die Nerven. Ich schließe die Augen.

Hotel des Beaux-Arts, wenig außerhalb von Dijon.
    Natürlich habe ich nicht daran gedacht, nach einem Zimmer mit zwei Betten zu fragen, daran muß ich sonst, wenn ich reise, nie denken, und so biete ich an, auf dem Boden zu schlafen. Josephine lacht bloß über diesen hilflosen Vorschlag, während sie ihre Kleider abstreift - der Reihe nach Pullover, Rock, Strümpfe, Büstenhalter. Stück für Stück faltet sie zusammen und legt es auf den Stuhl. Alles sehr selbstverständlich. Auch die Haarspange zieht sie weg, diesen Draht, der von einem Ohr zum anderen reicht und der sie so mädchenhaft macht. Ihr Haar fällt augenblicklich nach vorne. Ein anderes Gesicht jetzt. Sie hat vergessen, die Vorhänge zuzuziehen.
    »Du bist dünn«, sage ich, »du solltest mehr essen.« Ich sitze auf der Couch, meinen Mantel habe ich abgelegt, nicht aber meine Jacke, auch nicht die Schuhe, ich sitze, wie man im Wartezimmer eines Arztes sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, der gefaltete Mantel auf den Knien. Kein Knistern. Josephine ist einfach da, und ich weiß nicht, warum ich meine Krawatte geradestreiche, sie ist da, fremd, fast wie eine ungewöhnliche Tierart, etwas unheimlich. Ihre Brüste sind nicht größer als in meiner Erinnerung. Ich hätte jetzt gern geduscht, mich auch rasiert, ich komme mir wie eine Zumutung vor nach einem langen Tag, verschwitzt, auch ein bißchen wie ein Voyeur, unanständig, weil passiv. Jetzt sucht sie den Hauptschalter, der für alle Lichter zuständig ist. Im Gehen ist sie als Nackte natürlicher, als wenn sie steht. Auf einmal steht sie bei den Fenstern, zieht die Vorhänge wieder auf, läßt graues Licht den Raum überschwemmen. Nun sieht man sich wenigstens wieder - als geisterhafte Wesen - ihr Körper ist deutlich zu erkennen. Dann deckt sie das Bett auf, auch auf meiner Seite, und schlüpft hinein.
    Ich dusche erst am Morgen.
    »Du hast mich verkratzt mit deinen Stoppeln«, sagt sie und hebt den Pullover, damit ich sehen kann. Ihre Haut unterhalb des Schlüsselbeins. Der Geruch dieser Haut. Sie dreht sich auf dem Stuhl, dabei blättert sie in einem Gratis-Tourist-Guide, auf dem die schräg einfallende Sonne liegt: »Nächstes Mal will ich, daß du dich vorher rasierst.« Ihr Koffer steht bei der Tür, gepackt, der Mantel darübergelegt. Ich rasiere mich an diesem Morgen länger und gründlicher als je zuvor. Dazu pfeife ich, was sonst nicht meine Art ist.
    Für einmal ist es die Frau, die auf den Mann wartet, eine Tatsache, die ich auskoste.
    Der

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