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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Kataloniens fliegen, in deren Flügeln Augen funkeln. Wenn man lange genug in dieses Sternendickicht schaut, ist man wie nicht vorhanden. Ich streiche mit der Hand über das aufgerauhte Epoxyplastik der Bootshülle, um mich zu vergewissern, daß ich noch da bin. Wir liegen rücklings auf dem Bug, mein ausgestreckter Arm unter ihrem Nacken. Das Zerren von Wind am Segel. Wir haben die Positionslichter ausgemacht, um Batterie zu sparen. Angst vor schlafenden Walen in der Nacht. Man sieht sie auf keinem Radarschirm. Man fährt bloß in sie hinein und knickt den Kiel. Es ist fraglich, ob sie überhaupt aufwachen würden bei so einem Zusammenstoß.
    Ab und zu ein Satellit, der rücksichtslos quer über das Firmament zieht.
    Es gibt sie nicht, die absolute Dunkelheit. Irgendwo ist immer Licht. Wir finden keinen Himmelsausschnitt, der komplett schwarz ist. Weil wir die Sternbilder nicht kennen, legen wir unsere eigenen in dieses Firmament. Wir taufen sie Tulpenstempel, Rosenblatt, Pollenstaub,
    Maulbeerbaum, Tannenbaumspitze, Astgabel, Glücksklee, Luftwurzel. Am nächsten Abend können wir uns nicht mehr daran erinnern und beginnen wieder von vorn, diesmal mit Namen von Haushaltsgeräten.
    Manchmal glaube ich, einen Sternennebel zu sehen, eine Galaxie vielleicht, und versuche ihr zu erklären, wo. Die Hilflosigkeit in einem Universum, das aus nichts anderem als Lichtpunkten besteht - kein Baum, keine Straße, kein Dorf, an dem man sich festhalten könnte. Keine Milchstraßenschilder. Es gibt nur links, rechts, oben und unten von besonders hellen anderen Punkten. So müssen sich die ersten Seefahrer vorgekommen sein. Ein Übermaß an Richtungslosigkeit. »Vielleicht ist alles nur Einbildung«, flüstere ich, ein altes philosophisches Motiv aufnehmend, »das Boot, das Meer, du, ich. Alles in unseren Köpfen.« Beide liegen wir rücklings auf dem Bug, unsere Hände und Füße um Winschen und Klampen gewunden, wie Tiere, die es sich in einem fremden Habitat behaglich gemacht haben, wir kleben auf dieser Schale, die sich wie ein Keil in die Haut unseres Planeten drückt, langsam und rhythmisch, und mit derselben rhythmischen Gefälligkeit von dieser Oberfläche verworfen wird. Ich meine: »Man muß sich ganz gehörig was einbilden, um von diesem Sternenmeer nicht erdrückt zu werden.«
    Plötzlich schubst mich Josephine an der Schulter, ich kann mich im letzten Moment gerade noch am Relingdraht festhalten, unter meinen Füßen rauscht das pechschwarze Meer.
    »Verdammt!« fauche ich, als ich wieder einigermaßen sicher, aber zitternd auf Deck liege.
    Josephine sehr sachlich: »Keine Angst vor der Einbildung. Unsere ganze Geschichte ist Einbildung.«
    Ich verliere den Sinn für Zeit.
    Sind es nun schon drei Wochen oder fünf?
    Was tun mit so viel Zeit?
    »Erzähl mir eine Geschichte.«
    »Also gut.« Josephine klappt ihren Ulysses zusammen. »Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die Wüste.«
    »Das klingt doch arg nach Frisch«, wehre ich ab. »Ich bin verblüfft - du mit deinen bescheidenen Literaturkenntnissen.«
    Ich habe tatsächlich schon viel von ihr gelernt, es überrascht mich. Nicht nur Literarisches.
    »Also«, sagt sie mit fein gekräuselter Nase, »beginnen wir anders. Beginnen wir so: In einem Fischerdorf auf einer vorgelagerten Insel im Südosten Cubas, die mit einer täglichen Fähre mit der Hauptinsel verbunden ist, lebt ein alter Mann. Sein Name sei Alejandro. In seinen besten Jahren war Alejandro als Muscheltaucher weitherum bekannt. Niemand holte größere, schönere, symmetrischere Muscheln aus der Tiefe, und niemandem gelang es, diese hübscher zu schleifen. Die Meeresschnecken waren so groß, die Legende will es, daß noch heute einer seiner Funde, eine Perlmutt-Riesentrochide, im Regierungspalast in Havanna, in Fidel Castros Privatbibliothek, auf einem von tiefgrünem Satin bedeckten Sockel steht. In jenen vollen Jahren kam jeden Monat ein Schwarzhändler vorbei, der Alejandro die ganze Ladung Muscheln gegen Dollar abkaufte - was natürlich schon damals strengstens verboten war. Wenn der Händler da war, verhängte Alejandro die Fenster seiner Hütte mit Tüchern. Es ging niemanden etwas an, was sich drinnen abspielte. Trotzdem konnte man es sich ja denken, und als Alejandro seine Holzkiste nach und nach ausbaute, seine Fischerhütte in ein kleines, aber ansehnliches Familienhaus verwandelte, war es jedermann klar, daß er Schwarzhandel betrieb.
    Um sich die Freundschaft seiner

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