Himmelreich
er sich in die Ohren stopfte, das Gelächter hörte nicht auf. Er wickelte eine Decke um die Muschel und stopfte Kissen in das Gehäuse, die den Klang wohl etwas abdämpften, aber nicht vollständig zum Schweigen brachten. Todmüde machte er sich bei Tagesanbruch daran, die Schale vom Tang zu reinigen -Bärte von Tang -, von den Verkalkungen, den Korallenschichten, er schmirgelte und polierte, während es leise aus der Muschel lachte, aber er versuchte, sich in seiner Arbeit nicht ablenken zu lassen, und verwandelte die Riesenschnecke Quadratzentimeter um Quadratzentimeter in ein glänzendes Wunder. Noch am gleichen Tag telefonierte er mit dem Schwarzhändler. Alejandro brauchte das Geld. Aber noch dringender wollte er Fernandas Kitzelgelächter loswerden. Der Händler versprach ihm, in einer Woche vorbeizukommen.
Eine ganze Woche ohne Schlaf. Alejandro verließ seine Hütte nicht ein einziges Mal. Er aß nichts, er trank nichts, er redete mit niemandem. Er arbeitete hinter verhängten Fenstern. Sobald er sich hinlegte, um auszuruhen, war Fernandas Lachen wieder da. Er verdoppelte die Dosis des Schlafpulvers, er verzehnfachte sie. Vergeblich. Am Abend bevor der Händler kam, waren seine Nerven so überreizt, daß Alejandro am ganzen Körper zitterte. Mitten in der Nacht stand er auf, nahm die Axt aus dem Schrank und schlug auf die Muschel ein, bis sie mit einem Knall zerbarst. Endlich war das Lachen verstummt. Alejandro stand neben dem Scherbenhaufen, fassungslos, breitbeinig, die Axt noch immer in beiden Händen. Draußen zirpten die Grillen, und ab und zu waren Wellen zu hören, kleine müde Wellen, die sich am flachen Strand überschlugen. Ansonsten war es still.«
»Und die Muschelscherben?« frage ich.
»Als am anderen Tag der Händler kam und ihn aus dem Schlaf riß, traute er seinen Augen nicht. Überall lagen Muschelstücke, so fein und leuchtend und mit einem so schönen Muster, wie er es sich nie hätte ausmalen können. Alejandro behauptete, daß er die Stücke einzeln auf dem Meeresgrund zusammengelesen hatte, doch der Händler sah, daß es zusammengehörende Scherben waren, sagte aber nichts. Aus den Scherben könnten immerhin Steine für Halsketten geschliffen werden, meinte er, und so einigten sie sich auf einen Preis, der Alejandro kaum für das Benzin entschädigte, das er in jenen zwei Tagen auf See verbraucht hatte. Aber zumindest war er die Scherben los. Beim Hinausgehen drehte sich der Händler noch einmal um und sagte: Lieber Alejandro, wäre dies eine ganze Muschel gewesen, du wärst heute der reichste Mann Cubas. Alejandro schlief eine Woche lang durch, und als er aufwachte, wachte er im Himmel auf, wo seine verstorbene Frau ihn in die Arme schloß.«
»Eine schöne Geschichte«, sage ich, »aber ein bißchen kitschig.«
Wieder das Kräuseln auf Josephines Nase, das ich ihr so gern weggeküßt hätte: »Unsere ganze Geschichte ist kitschig.«
Time to Destination: 2 Hours 10 Minutes.
Man serviert uns Mövenpick-Eis, dazu durchsichtig dünne Plastiklöffelchen.
Daraufhin das Duty-Free-Wägelchen.
Mit jedem Tag auf See wird es, so scheint es, ein Grad wärmer.
Wir besitzen alles, was man sich wünschen kann -Wein, Wind und die Leidenschaft füreinander. Das einzige, was uns fehlt: frisches Brot.
»Die letzte«, sagt Josephine, als sie aus dem Reserveschrank hervorkriecht, sie sagt es, als sei sie soeben vom Schicksal betrogen worden. Sie streckt mir die Konservendose hin wie einen Goldbarren: »Thunfisch.«
»Gut, dann genießen wir ihn«, lache ich und zücke mein Schweizer Armeetaschenmesser. Dosenöffnen ist mein Job, und ohne mein Militärmesser wären wir schon längst verhungert. Ich presse den Schneidezahn in den Dosenrand, Schrittchen für Schrittchen, bis sich der Deckel von selbst hebt. Ich liebe dieses Schneiden, ich bin stolz, echte Arbeit zu erledigen, es ist wie das Aufreißen eines Straßengrabens. Dazu die Spannung eines Bankräubers beim Aufbrechen des Tresors. Jeder Thunfisch ist anders - rosa, grau, glatt, zerklumpt, zerstückelt, hart wie gepreßter Lehm oder zart wie warme Butter. Ich zerre und drehe am Deckel, bis der letzte Metallfaden gerissen ist. Jetzt Deckel nochmals auf die Dose drücken, umkippen, austropfen lassen. Hier liegt er - golden und in geschwungenen Fasern, ein komplettes Stück Thunfisch im Öl. Ich zerre einen Fetzen mit den bloßen Fingern weg, und natürlich schlägt Josephine mir auf die Finger. Es wird ein Festessen. Dazu Reis. Wein, die
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