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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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jederzeit explodieren konnte, und die Schmerzen, die die Lunge in hastigen Wellen ausstrahlte, waren nun schon daran, die Schultern und die Oberschenkel anzugreifen. Er band das Ende des Seiles um das Gehäuse und zog sich gleich wieder hoch. Es war stockdunkel, das Seil in seinen Händen war jetzt seine einzige Orientierung. Er riß sich hoch, Zug um Zug, dann kam der schwebende Anker, dann die Ankerkette. Aber allmählich begriff er, daß er es nicht schaffen würde. Seine Brust brannte, seine Hände klammerten nur noch aus Schmerz an der Kette. Am liebsten hätte er Wasser eingeatmet, um alles auszulöschen. Wie aus einem Automatismus heraus hangelte er sich hoch, es waren jetzt bloß noch seine Arme, die arbeiteten, und er spürte, wie sein Bewußtsein allmählich wegdriftete. Er sah Fernanda, mit der er damals, gleich nach der Geburt seines ersten Sohnes, in Havanna eine flüchtige Beziehung unterhalten hatte, Fernanda, das Mädchen mit dem sonnigen, glatten, schönen Gesicht, den weißen Zähnen und den großen, wundersam bauschigen Lippen, die sich nur selten über diese Zähne schlossen, und den schwarzen Augen, die aussahen, als wären sie bereit, alles zu verschlingen, Fernanda, mit der er ins Hotel Nacional zog und drei Tage lang das Zimmer nicht verließ. Er hörte Fernanda lachen. Er kitzelte sie gern und liebte ihr ungezügeltes, tiefes, schelmisches Lachen. Er schenkte ihr Halsketten aus polierten Muschelstücken und lieh ihr kleine Summen. Die Affäre zog sich über die Jahre hin, ohne daß seine Frau etwas merkte. Mindestens zweimal im Jahr besuchte er seine Fernanda - bis sie schließlich einen Parteifunktionär heiratete.
    Als seine Hände das obere Ende der Ankerkette erreicht hatten und den Bootsrand umklammerten und er wie ein Toter mit ausgestreckten Armen am Boot hing, war Alejandro in Gedanken noch immer bei dem schönen Mädchen. Die Wasserlinie schwappte um sein Becken, seine Brust, und manchmal spülte es Salzwasser in seinen aufgesperrten Mund. Nur langsam kam er wieder zu Bewußtsein, und als er aufschaute, explodierten die Sterne über ihm. Mit aller Kraft hangelte er sich hoch, kroch ins Boot und schlief die ganze Nacht. Am nächsten Morgen, die Sonne stemmte sich voll und schwer über den Horizont, erinnerte er sich an seinen Fund. Die Ankerkette hing noch immer straff ins Wasser, und als er das Beobachtungsglas hineintauchte, konnte er sehen, wie die Muschelschale mit dem Seil am Anker festgebunden war. Er zog die Kette hoch, Armlänge um Armlänge, es schien, als würde er eine Sprengladung hochziehen, so sorgfältig führte er die Züge aus. Und als der Muschelbuckel endlich an die Wasseroberfläche kam, konnte er kaum glauben, wie groß und prächtig dieser Fund war. Noch nie in seinem Leben hatte er so ein Tritonshorn gesehen - eine gigantische Spirale, die sich über zwei Dutzend Windungen in eine scharfe Spitze verdrehte. Es dauerte noch den halben Morgen, bis es ihm gelang, diesen Koloß ins Boot zu hieven. Das Schalengehäuse war leer, und irgendwie war Alejandro darüber erleichtert, denn er konnte sich dieses Ding nicht lebend vorstellen.
    Alejandro lächelte, als er seine Arme um die Schneckenschale legte und seine Hände sich auf der gegenüberliegenden Seite nicht berührten. Es war klar: Diese Muschel würde ihm ein Vermögen einbringen. Er entschloß sich, draußen auf dem Meer zu warten, bis es wieder dunkel wurde. Niemand sollte wissen, welchen Triumph er dem Meer abgerungen hatte. Um Mitternacht, unter den Augen der Sterne, legte er am Holzsteg an und rollte die Muschel wie eine Walze über den Sand in seine Hütte, verhängte die Fenster mit Tüchern, legte sich hin und versuchte zu schlafen. Aber er konnte nicht. Es war sein Hochgefühl, das ihn wach hielt, sein Herz schlug wild vor Begeisterung, am liebsten hätte er vor Erregung die Kirchenglocken läuten lassen. Er nahm ein Schlafpulver, aber auch dies nützte nichts. Er lag mit weit offenen Augen auf seinem Bett und versuchte, seinen Muskeln zu befehlen, müde zu werden. Vielleicht war es mehr als nur seine Aufregung, denn er vernahm von irgendwoher ein Lachen, ein breites, sanftes Lachen, das ihm auf eine seltsame Weise bekannt vorkam. Es schien aus der Muschel zu kommen. Er stand auf und steckte seinen Kopf in die Muschelöffnung. Tatsächlich, es war das Lachen der Fernanda.
    Die ganze Nacht hielt dieses Lachen ihn wach. Wo er seinen Kopf auch vergrub - unter den Decken und Kissen - und egal, wieviel Watte

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