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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Nachbarn zu kaufen, vergab er hier und da großzügig Darlehen, unterstützte die lokale Grundschule, damit man wenigstens Kreide und etwas Schreibpapier anschaffen konnte, und spendete weitherzig an Sonntagen.
    Mit zunehmendem Alter gelang es Alejandro immer seltener, Riesenschneckenmuscheln herauszuholen. Da war zum einen seine Lunge, die ihm zu schaffen machte und ihn nicht mehr so tief tauchen ließ, zum anderen die Überfischung und die mit den Schleppnetzen verbundene Zerstörung des Meeresbodens. Er fand nur noch kleine Exemplare in geringer Tiefe, für die niemand bereit war, mehr als ein paar Dollar hinzulegen, während die Preise für Riesenmuscheln, wie die Händler betonten, durch die Nachfrage der Neureichen Asiens mittlerweile sphärische Größenordnungen erreicht hatten. Auch seine Söhne kehrten der Muschelsucherei einer nach dem anderen den Rücken, um in den Touristenzentren von Havanna und Varadero sogenannten Karrieren nachzugehen. Und seine Frau, die ihn zeit seines Lebens unterstützt und angetrieben hatte, starb wenige Jahre später.
    Aus dem einst stolzen, kräftigen Alejandro war ein alter, einsamer Mann geworden. Seine Ersparnisse waren längst aufgebraucht - sie gingen für Herzmedikamente drauf, die aus den USA kamen und nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich waren. Es wäre sinnlos gewesen, die verjährten Darlehen einzufordern. Seine Freunde waren ja auch alt und brotlos und besaßen kaum mehr als den Sand vor ihren Türen. Um Ersatzteile für seinen Außenborder beschaffen zu können, war Alejandro sogar gezwungen, sein Haus zu verkaufen und wieder in eine Fischerhütte umzuziehen.
    Eines frühen Morgens, als die Sonne durch das offene Fenster in sein Gesicht blinzelte und er die Lider nicht mehr zuklemmen konnte, stand er auf, sammelte seine Fischerei-Utensilien zusammen - Seile, Haken, Ösen, Ruten, Trinkwasser, auch etwas Brot -, stopfte alles in eine Ledertasche und stach in See. Durch ein Glas, das er ab und zu in die Wasseroberfläche eintauchte, beobachtete er den Meeresboden.
    Als er schon weit draußen war, blitzte ihm auf einmal etwas vom Grund entgegen, etwas sehr Großes, Helles, etwas Unheimliches, etwas Goldenes. Sofort stoppte er den Motor. Durch das Glas sah er deutlich die Umrisse eines Tritonshorns, eines Prachtexemplars von einer Meeresschnecke, so groß, wie er noch nie in seinem Leben eine gesehen hatte. Er ließ den Anker sausen. Aber der Grund war so tief, daß die Ankerkette nicht bis unten reichte. Zum Glück war kaum Wind, so daß das Boot nicht allzu schnell wegtrieb. Alejandro band sich ein Seil um, preßte die Taucherbrille ans Gesicht, holte tief Luft und zog sich kopfüber die Ankerkette entlang in die Tiefe, Zug um Zug. Je tiefer er kam, desto größer und schöner erschien ihm das Gehäuse der Muschel. Doch schon auf halbem Weg spürte er ein Reißen in der Lunge. Er mußte abbrechen und sich nach oben hangeln. Als sein Kopf endlich wieder aus dem Wasser schaute, hustete er Blut. Er mußte mehrmals erbrechen. Er hangelte sich über den Bootsrand und plumpste wie ein Toter in den Rumpf.
    Als er aufwachte, stand die Sonne schon tief, die Küste war eine winzige, schwarze Unruhe am Horizont. Ringsherum nichts als das Glitzern des aufgeregten Wassers. Natürlich war das Boot weggedriftet. Er spürte die Bewegung im Haar. Alejandro warf den Motor an, steuerte geradewegs in den Wind und suchte den Meeresboden ab. Er fuhr ganz langsam. Just als die Sonne den Horizont erreichte, erblickte er das goldene Schneckengewinde wieder, tief auf dem Grund. Es war reiner Zufall. Entweder jetzt oder nie, sagte er sich, denn er wußte, daß er diese Position nie wieder finden würde.
    Abermals warf er den Anker über Bord, wiederum drückte er sich die Tauchermaske ans Gesicht. Aber diesmal kettete er sich Blei um den Bauch, sämtliches Blei, das er in seiner Ledertasche, in der Ankerluke und unter den Sitzbänken finden konnte. Dann schoß er hinunter. Der Meeresboden war jetzt kaum noch sichtbar, so dunkel war es schon. Beim Anker angekommen, schnürte er das Seil um den schwebenden Ankerhals und ließ sich weiterfallen, bis er die Muschelschale mit bloßen Händen greifen konnte. Seine Brust fühlte sich an, als hätte er Flammen gefressen.
    Die Muschel übertraf alles, was er sich bisher hatte vorstellen können, sie war beinahe so groß wie er selbst, vielleicht sogar größer, aber Alejandro hatte keine Zeit zu messen, seine Lunge fühlte sich wie ein Hochofen an, der

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