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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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dann stieg sie in einem flachen Winkel, ganz vorsichtig, und schrumpfte zu einem Würmchen. Ihr Rumpf blitzte im Licht der untergehenden Sonne. Ich schaute ihr noch nach, als sie schon lange verschwunden war.
    Jetzt stand ich da, barfuß, und wirbelte mit beiden Händen den Sand aus dem Haar.
    Ohne Wasser würde ich höchstens drei, vier Tage überleben, das wußte ich natürlich auch. Auf einmal empfand ich es als schönen Gedanken: Einfach sterben. Aufhören. Daliegen und ein letztes Mal ausatmen. Eingehen in den Staub. Hoffnung auf Seele, die überlebt.
    Mein Entschluß, sie am folgenden Tag zu bestatten.
    Ich stapfte noch einmal zurück. Eine Hochzeit im Grab, so machte es den Eindruck. An Josephines Schädel, knapp über dem rechten Ohr, klebte vertrocknetes Blut, an verschiedenen Stellen war das Haar zerzaust und legte Schrammen bloß. Sein Gesicht, wie gesagt, nicht ohne Ähnlichkeit mit meinem eigenen. Seine zu Schlitzen geöffneten Augen, so als müßte er noch im Tod ganz fest nachdenken, seine gut gezeichneten Augenbrauen, die dieses Denken unterstützten, seine Haare - ein langweiliges Hellbraun, farblich zwischen Jauche und Haselnuß -, sein hervorstehendes Kinn. Den kleinen Finger der linken Hand, eigentlich nur sein vorderstes Glied, mußte er irgendwo verloren haben, bei einem Unfall vermutlich. Seine Uhr - eine IWC Portugieser Chrono-Automatic Special Edition - war exakt das gleiche Modell, wie ich es trug, selbst das Lederarmband (Shark Skin Anthrazit) war das gleiche. Seine Papiere wiesen ihn als Philip Himmelreich aus, und ich fragte mich, woher zum Teufel er meinen Ausweis hatte.
    Ich legte mich in den Sand und schaufelte mir ein Kopfkissen. Ab und zu das Geheul eines Hundes, vermutete ich, keine Ahnung, was es sonst hätte sein können. Eine Explosion von Licht, eine Glut, und ich dachte: Schaut sie euch an, diese Sterne, es wird eure letzte Nacht sein, ihr zwei, eure letzte Nacht im Freien, Hand in Hand.
    Die Bestattung am anderen Morgen.
    Heute war ich noch ein letztes Mal im Büro. Park Avenue. Auf dem Schreibtisch lag der Arbeitsvertrag für die Position als Konzernchef (»The Company hereby employs the Employee, and the Employee hereby accepts such employment, subject to the terms and conditions hereinafter set forth... The Employee is engaged by the Company as Global Chief Executive Officer starting January 1...0), unterschrieben M. Sievers, Präsident des Aufsichtsrates, gelb markiert das offene Feld für meine Unterschrift. Ich sollte es mir doch nach meiner Rückkehr aus Cancun noch einmal überlegen, richtete mir Mimi aus, indem sie die Anrufe der letzten Tage aus dem Zürcher Headquarter sinngemäß wiedergab. Ob sie denn meine Kündigung nicht erreicht habe, fragte ich Mimi. Doch, natürlich habe sie die Notiz auf der Flugkarte gleich in die Schweiz gefaxt, aber dort hätten sie nur gelacht und den Jux als vortrefflich gelobt. Erst als sie geschworen habe, daß ich tatsächlich seit über einer Woche verschwunden war, hätten sie sie gebeten, die Karte sofort im Original zu schicken, was sie dann auch per FedEx erledigt habe. Noch am gleichen Tag kam dann dieser Vertrag - sie verstehe auch nicht.
    »Mimi, ich war nicht in Cancun.«
    Ihr Blick, als hätte ich sie soeben betrogen. Ich erklärte.
    Wenn man zum ersten Mal unter Wasser seine Augen öffnet - einen solchen Blick hatte sie.
    Ob ich die Stelle als Konzernchef jetzt trotzdem annähme, wollte sie wissen. Sie hoffe es jedenfalls - vielleicht dürfe sie dann meine persönliche Sekretärin in Zürich sein, sie hätte schon so viel Schönes von Zürich gehört.
    Ich faltete den Arbeitsvertrag zusammen und steckte ihn in mein Jackett.
    Ich umarmte sie - ein für mich ganz fremdes Verhalten, was sie in seiner Ungewöhnlichkeit als Zusage für den Job in Zürich deuten mußte, denn sie funkelte mit ihren Augen, stellte sich auf die Fußspitzen und verpaßte mir ganz spontan einen Kuß auf die Wange, wenn auch einen ganz trockenen, preßte aber vor Scham dann gleich den Handrücken auf ihre Lippen.
    »I am sorry«, sagte sie, »I am so sorry.« Vielleicht war sie einfach froh, daß ich noch am Leben war.
    »I love you.« Ich sagte es so, wie es die Amerikaner meinen: als ungefährliche Sympathiekundgebung. Ich fand Mimi in diesem Moment wirklich sehr süß. Dann verließ ich das Büro.
    Ich schlenderte durch New York, als wäre es der letzte Tag überhaupt. Ich schlenderte am Spital vorbei, wo ich schon am Morgen gewesen war, ich

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