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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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beschäftigt, vielleicht gab es auch gerade viel zu tun im Cockpit, mag sein, trotzdem erzählte ich ihm die ganze Geschichte von Josephine, die mich entführen wollte, und meine Versetzung nach New York, mein relatives Glück als alleinstehender Mann, die Scheidung von Anna, unser erneutes Zusammenleben, ihre Versuche, schwanger zu werden, ihr Tod. Ich erzählte ihm, was Liebe für mich bedeutet hatte: ein stumpfsinnig romantisches Konstrukt, ein genetischer Marketing-Gag, eine weibische Einstellung, eine pubertäre Illusion. »I was obsessed with this woman, obsessed, infatuated, do you understand?« Keine Ahnung, warum auf englisch - weil ich mich ereiferte, darum, ich packte ihn schon wieder am Ärmel. Er tat, als ginge es jetzt nur um die Navigation. Ich versuchte ihm zu schildern, wie sie stand, wie sie ging, wie sie sich bewegte, ich beschrieb ihm ihr Haar, ihr Gesicht, ihre Schultern, ich erzählte ihm vom Schwung ihrer Hüften und den triumphierenden Muskeln ihrer Waden, die ihr einen straffen Bogen der Ungeduld gaben; überhaupt ihre furchtbar schöne Art zu stehen. Ich ratterte zwei Dutzend Buchtitel herunter und zitierte Sätze aus ebendiesen Büchern, die sie, wann immer sie sprach, wie Goldstaub in die Konversation einstreute. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren war, ich erzählte ihm mein ganzes Leben und noch viel mehr. Ich hörte mich selbst durch den Kopfhörer sprechen, ich lauschte dieser Stimme, als wär's die Geschichte eines anderen. »A goddess, a goddamn goddess, have you ever experienced that? Tell me: Have you ever experienced love?« Er drehte die Lautstärke auf seinem Kopfhörer zurück, dann klopfte er wieder auf den Benzinstandsanzeiger. Ringsherum das aufblitzende Meer, flach, aber endlich, der Horizont eine Schnur, Inseln wie hineingeworfene Flußsteine. Wir flogen jetzt auf einer größeren Höhe, vermutlich um Benzin zu sparen.
    Die Spur der Verwüstung, die geknickten Wälder, jetzt als bloße Farbnuance. Und da war wieder die abgedeckte Hütte mit dem zerbrochenen Segelschiff.
    »Gehen Sie runter«, befahl ich. »Dort müssen wir landen.«
    Natürlich gab es keine Piste, das sah ich auch. »Dann landen Sie halt auf dem Strand, das sind Sie ja gewohnt.«
    Unmöglich, meinte Stephen. Erstens kämen wir da nie wieder heraus, und zweitens seien wir so knapp an Benzin, daß es unverantwortlich wäre, jetzt nicht direkt nach Nassau zurückzufliegen.
    Und wenn schon landen, dann auf Staniel Cay, einige Meilen südlich von hier, eine Naturpiste gemäß Flugkarte, aber immerhin eine Piste.
    »Runter!« sagte ich noch einmal, und er folgte mir wie aus einem Reflex heraus.
    Die Landung auf dem schmalen Strand verlief alles andere als problemlos. Wir umkreisten die Insel dreimal, bis wir uns für einen einigermaßen geraden Küstenstrich entscheiden konnten - einen Küstenstrich ohne Felsen, Dünen oder Gebüsch. Der Anflug, das Ausfahren der Landeklappen, das Drosseln des Motors, Segelflug, ein stilles Absinken, und im letzten Moment Vollgas, wir stiegen wieder, suchten einen anderen Strand. Dann der Anflug bei Seitenwind, die Sonne stand tief und blendete, dazu ihre Reflexion auf dem Meer, dieses doppelte Glitzern, es war sehr schwierig auszumachen, ob da nicht doch noch ein Korallenfels oder ein angespülter Baumstrunk lag. Dann das Aufsetzen, mit einem Rad im Wasser, mit dem anderen auf dem Sand, so daß es uns mehrmals um die eigene Achse wirbelte und die Maschine mit einer Flügelspitze schief im Wasser stehenblieb.
    Wir kletterten aus dem Cockpit. Zuerst ich, dann Stephen. Er mußte sich sofort setzen, er zitterte am ganzen Körper. »This was my worst landing«, und es spielte keine Rolle, daß er jetzt ebenfalls auf englisch stotterte. Ich ließ mich neben ihn in den Sand fallen.
    Ein sanfter Wind. Die Abendhitze. Das einfache Rascheln der Palmen. Das Meer tat, als hätte es schon wieder alles vergessen. Was aus der Luft wie eine zerbrochene Eierschale aussah, war tatsächlich der Rumpf eines Segelschiffs. Zumindest der hintere Teil davon. Das Heck war noch ganz, es fehlten ein oder zwei Lettern. Heimathafen Isla Bo, was mir überhaupt nichts sagte. Sonst war nicht viel übriggeblieben. Der Mast zeigte schief nach oben, die Drahtseile hingen wie Spinnenbeine herunter, die Windfahne führte noch immer winzige Bewegungen aus. Fetzen von Segeltüchern in den Palmen. Der Steg war abgebrochen. Pfähle trieben im Wasser. Allerlei Schwemmaterial auf dem Strand -Taue, Baumstümpfe.

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