Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Himmels-Taler

Titel: Himmels-Taler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
er sagen sollte.
    Glücklicherweise mußte Ivy als erste sprechen. »Diese ganze Geschichte mit den netten Skeletten oder reumütigen Trollen oder süßen kleinen Mädchen ist völlig unbedeutend«, fing sie an. »Skelette sollen furchterregend sein, Trolle müssen bösartig sein, und kleine Mädchen sind nicht unbedingt süß.« Sie wirbelte zu Dolph herum. »Bist du anderer Meinung?«
    Der völlig überraschte Dolph konnte nur schlucken. Ivy war sich selbst das beste Beispiel!
    »Ihr, die Geschworenen, dürft nur eins berücksichtigen«, fuhr sie heftig fort. »Hat die Angeklagte getan, was von ihr erwartet wurde? Ihr wißt, daß dem nicht so war. Deshalb ist sie schuldig. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
    Aua! Mit einem einzigen bösartigen Zungenschlag hatte sie Dolphs sämtliche Zeugen eingeschüchtert, was sollte er dagegen sagen? Grazi hatte den Traum ja wirklich entschärft, und das war alles, was für die Bewohner des Traumreichs zählte.
    Doch da fiel ihm ein, daß er unmöglich gewinnen könnte, wenn er sich die Definition des Kürbisses aneignete! Als er auf Fragen, die er nicht mochte, eine Tür nach der anderen geöffnet hatte, war er auch nicht ans Ziel gelangt; vielmehr war er aus dieser Falle erst dadurch entkommen, daß er die ganze Sache abgelehnt hatte.
    Er mußte jedes Mitglied der Jury erreichen, mußte dafür sorgen, daß jeder auf seine Art abstimmte. Mußte ein wirklich effizientes Schlußplädoyer vorbringen, das sie alle anrühren würde.
    »Nun, äh, ja«, fing er an, »ihr wißt alle, daß es nicht recht ist, eine Person nur dafür zu bestrafen, daß sie etwas Nettes, etwas Anständiges getan hat. Das Ziel der Herstellung eines schlimmen Alptraumes heiligt nicht die Mittel des…« Verwirrt geriet er ins Stocken. Was hatte er eigentlich sagen wollen? Unter diesem Druck bekam er die Sache einfach nicht richtig hin. Zwecke und Mittel – doch es war entschwunden. »Mehr habe ich nicht zu sagen.« Niedergeschlagen kehrte er an seinen Tisch zurück.
    Ivy warf ihm einen Blick zu. »Bruder, die Sache hast du ordentlich versiebt«, sagte sie höhnisch.
    Die Geschworenen berieten sich. Dolph sah Grazi in die Augenhöhlen. »Ich habe es versucht«, sagte er und war schon wieder fast den Tränen nahe. »Ich habe es wirklich versucht.«
    »Ich weiß, daß du das getan hast, Dolph«, erwiderte sie. »Es ist nicht deine Schuld, daß niemand im Traumreich einen Prozeß gewinnen kann.«
    Die Geschworenen setzten sich wieder gerade hin. »Habt ihr eine Entscheidung gefällt?« fragte der Richter.
    »Das haben wir, Euer Ehren«, sagte Draco.
    »Wie lautet eure Entscheidung?«
    »Schuldig.«
    Bisher war Dolph nur niedergeschlagen gewesen, doch nun, da es geschehen war, reagierte er mit Empörung. »Aber das ist nicht gerecht!« rief er.
    Ivy wandte sich ihm zu. An dem bösen Zug, der um ihre Mundwinkel spielte, erkannte er, daß sie gleich etwas sehr Unmädchenhaftes sagen würde.
     
    Und dann befand er sich ohne jede Vorwarnung plötzlich in einem Hof. Grazi stand mit verbundenen Augen an einer Ziegelmauer, die von kleinen Löchern übersät war. »Fertig!«
    Dolph blickte zu der Stimme hinüber. Ein Trupp aus zehn zentaurischen Bogenschützen, die gerade ihre Bögen hoben und wie ein einziges Wesen die Pfeile einlegten. Der Zentaurenkommandant stand an der Seite, wo er sowohl das Erschießungskommando als auch das Ziel – Grazi – überblicken konnte.
    »Anlegen!«
    Zehn Bögen wurden ausgerichtet und zehn Sehnen gespannt, als sich zehn schreckliche Pfeile auf die verurteilte Kreatur richteten.
    »Wartet!« rief Dolph und rannte hinaus, stellte sich zwischen Grazi und dem Erschießungskommando auf.
    »Das ist aber äußerst irregulär«, sagte der Zentaurenkommandant mit gerunzelter Stirn.
    »Aber ihr könnt sie doch nicht einfach hinrichten, nur weil sie einen einzigen schlimmen Alptraum versiebt hat!« protestierte Dolph.
    »Und ob wir das können, es sei denn, sie widerruft und legt einen Eid ab, es nie wieder zu tun und als Wiedergutmachung in zukünftigen Träumen doppelt so bösartig zu sein.«
    »Das kann ich nicht!« rief Grazi entsetzt.
    »Das kann sie nicht!« wiederholte Dolph.
    »Das dachte ich mir. Sie bereut nicht. Und jetzt geh beiseite, sonst wirst du noch ihr Schicksal teilen«, befahl der Zentaurenkommandant barsch.
    »Sie hat es getan, weil der Traum unrecht war!« rief Dolph. »Sie ist eine nette Person, und sie war einfach unfähig, an einer ungerechten Bestrafung teilzunehmen.

Weitere Kostenlose Bücher