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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Großeltern gelebt, um seine Druckerlehre zu beenden. Aber als Halbjude wird ihm in Deutschland der Boden unter den Füßen heiß. Er hat ein Visum für Amerika beantragt.«
    Voller Misstrauen schauten die Polizisten zu ihnen herüber. Hatte das Wort Deutschland ihren Verdacht erregt? Oder das Wort Jude? Als Harry ihre Blicke mit einer Grimasse erwiderte, wandten sie sich vor Verlegenheit den Resten seiner Ausstellung zu. Während sie die Bilder an den halbleeren Wänden anstarrten, kopfschüttelnd und mit verrenkten Hälsen, weil sie nicht wussten, wo oben und unten war, schlugen sie sich mit ihren Gummiknüppeln immer wieder in die Hände. Als würden sie sich innerlich für die Niederschlagung eines Streiks oder Aufstands rüsten.
    Harry musste an sich halten, um sich nicht zu übergeben. »Wenn ich nur wüsste, welches Schwein mich verraten hat«, sagte er und nahm das nächste Bild von der Wand, bevor die Polizisten es mit ihren Blicken besudelten.
    »Wahrscheinlich ein Spitzel von Lauras Vater«, meinte Bertram Amrose. »Mr. Paddington ist ein sehr reicher und mächtiger Mann.«
    »Ich glaube eher, es war diese Geraldine«, sagte Harry. »Sie ist die geborene Gouvernante. Außerdem mag sie mich nicht, das spüre ich genau. Aber klären Sie mich auf. Wie funktioniert so was bei Ihnen in England? Ich meine, wenn ein Mädchen aus gutem Hause, das mit einem Ausländer durchgebrannt ist, in den Schoß der Familie zurückkehrt?«
    »In der Regel ganz einfach.« Bertram Amrose nahm die Brille ab und putzte die Gläser. »In drei Wochen ist Hofball. Soweit ich weiß, gibt Laura Paddington dort ihr Debüt. Danach wird es etwa zwei Monate dauern, bis die Times ihre Verlobung mit irgendeinem Lord oder Earl verkündet.«
    Harry verstaute das Bild behutsam in einer Kiste und bedeckte es mit einer Schicht Holzwolle. »Ja«, sagte er, während er Hammer und Nägel nahm, um die Kiste zu verschließen, »das Leben ist ein Jeu de vérité .«
    »Ein was?«
    »Ein Wahrheitsspiel. Darin zeigt sich immer ganz von alleine, wie es wirklich ist.« Mit einem einzigen Schlag versenkte er den ersten Nagel. »Aber vielleicht ist es ja besser so. Ich weiß nicht, ob ich mein Gelübde gehalten hätte, wenn sie mitgekommen wäre, außerdem wäre es eine entsetzliche Verantwortung gewesen, ich meine, sie ist ja noch ziemlich jun g …«
    Seine eigenen Worte ekelten ihn so sehr an, dass er mitten im Satz verstummte. Was für ein gottverdammter Lügner er war! Seine sämtlichen Bilder hätte er in die Themse geschmissen, wenn Laura dafür bei ihm wäre. Während er einen Nagel nach dem anderen in die Kiste hämmerte, sah er sie vor sich. Mutterseelenallein saß sie im Turmzimmer ihres elterlichen Schlosses. Umgeben von gesichtslosen Augen, die aus der Dunkelheit auf sie starrten. Ein Kerker aus Blicken und Angst.
    Dafür sollten die Faschisten büßen! In Spanien würden sie bezahlen, was sie diesem Mädchen angetan hatten!
    In stummer Wut schlug Harry den letzten Nagel ein. Dann rüttelte er noch einmal an den Latten, um ihre Festigkeit zu prüfen.
    »Weg damit!«
    Während Bertram Amrose die Kiste hinaustrug, nahm Harry ein Blatt Papier. Er musste sich von alledem erholen, und die Kunst war seine einzige Zuflucht, die einzige Wirklichkeit, in der er es länger als fünf Minuten aushielt, ohne verrückt zu werden.
    Ohne einen Plan oder eine Absicht begann er zu zeichnen. Nur ein vager, unbestimmter Wunsch führte seinen Stift: der Wunsch, Laura irgendwie zu helfen, sie aus ihrem verfluchten Kerker zu befreien.
    Wie hatte sie ihn genannt? Der Große Zauberer?
    Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
    »Bin ich das?«, fragte eine raue, dunkle Frauenstimme.
    Als Harry aufsah, blickte er in dasselbe Gesicht, das er soeben gezeichnet hatte. Ein junges, hellhäutiges Mädchen mit langen, schwarzen Locken, noch schwärzeren Augen und einem vollen roten Mund: eine deliziöse Miniatur, die sich gerade in ein Wildpferd verwandelte.
    10
    »Und deine Eltern?«, wollte Harry wissen.
    »Welche Eltern?« Laura erwiderte spöttisch seinen Blick. »Ich bin eine freie Frau!«
    Irritiert, beinahe erschrocken, runzelte er die Stirn, und das Lächeln verschwand von seinen Lippen. Laura glaubte nicht richtig zu sehen. Sie hatte erwartet, dass er sie mit offenen Armen empfin g – und jetzt dieses Gesicht! Konnte er sich nicht vorstellen, was sie riskiert hatte? Als sie ihren Eltern erklärt hatte, dass sie London in vierundzwanzig Stunden verlassen

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