Himmelsdiebe
richteten. »Roberto hat mich zufällig gestern Abend angerufen«, sagte er dann. »Aus Jamaika. Er und Laura verbringen dort gerade ihre Flitterwochen.«
4
Laura saß nackt am Schreibtisch ihres Hotelzimmers und schrieb. Obwohl sie außer den zwei Wattebäuschen, die sie sich gegen den Lärm der Pool-Party draußen in die Ohren gestopft hatte, nichts am Leib trug, verklebte der Schweiß ihre Poren. Doch viel schlimmer als die brütende Hitze war das ewige Salsa-Gedudel, in dessen Rhythmus das ganze Hotel zu pulsieren schien. Gleich nach dem Frühstück kreuzten die Musiker mit ihren Trommeln und Blechinstrumenten im Hotelgarten auf, und erst im Morgengrauen verschwanden die letzten Gäste betrunken in ihren Apartments, um die Party zu beenden.
Laura hatte sich während des ganzen Urlaubs nur zwei oder drei Mal am Pool blicken lasse n – Roberto zuliebe. Die übrige Zeit verbrachte sie bei geschlossenen Fenstern in ihrem Zimmer, um zu schreiben. Seit ihrer Ankunft in Kingston hatte sie fast ein ganzes Buch zu Papier gebracht: hundert Seiten, die ihr Leben bedeuteten.
»Hie r – eine kleine Erfrischung für dich.«
Laura zuckte zusammen. Sie hatte Roberto gar nicht gehört. Nur mit Bermuda-Shorts bekleidet, ein Handtuch um den Nacken, die Sonnenbrille über der Stirn, reichte er ihr ein eisig beschlagenes Glas Caipirinha. Obwohl die Unterbrechung ihrer Arbeit sie störte, zwang sie sich zu einem Lächeln. Roberto meinte es ja nur gut. Sie entfernte die Wattebäusche aus den Ohren und nahm ihm das Glas ab. Wie tausend winzige Kristalle glitzerten die gestoßenen Eiswürfel in der rumgetränkten Limonade, und am Zuckerrand des Glases steckte eine orangefarbene Papiersonne.
»Danke«, sagte sie und sog schlürfend an dem Strohhalm. »Sehr lieb von dir.«
»Willst du nicht rauskommen?«, fragte er. »Es ist wirklich eine tolle Party. Alle tanzen.«
»Und du musst als Einziger zugucken? Armer Roberto!«
Obwohl sie sich redlich bemühte, schaffte sie es nicht, das Lächeln auf ihren Lippen am Leben zu erhalten. Roberto sah in seiner albernen Strandkluft einfach entsetzlich au s – fast schämte sie sich für ihn. Sein muskulöser, über und über behaarter Körper gehörte entweder in einen Anzug oder in ein Torerokostüm. Alles andere war so geschmacklos wie Weihnachten auf Hawaii. Spürte er das denn nicht selbst?
Laura stellte ihr Glas ab und griff wieder nach ihrem Füllfederhalter.
»Was schreibst du eigentlich die ganze Zeit?« Neugierig beugte er sich über ihre Schulter.
»Eine Art Tagebuch. Ich glaube kaum, dass dich das interessiert.«
»Mich interessiert alles, was dich betrifft! Schließlich bin ich dein Mann!«
»Und darum musst du alles von mir wissen?«
Auf einmal empfand Laura ihre Blöße als unangenehm. Sie stand auf, ging zum Schrank und streifte sich ein Strandkleid über.
»Hast du Angst, ich will mit dir schlafen?«, fragte er beleidigt.
»Wie kommst du denn darauf? Du weißt doch, wie gern ich mit dir zusammen bin.«
»Ja, aber höchstens zweimal am Tag.«
Sie tätschelte seine Wange. »Habe ich einen Stierkämpfer geheiratet oder einen Stier?«
»Einen Stier natürlich!« Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie eifersüchtig ich bin.«
»Bist du übergeschnappt? Auf wen? Ich bin doch den ganzen Tag allein hier im Zimmer.«
»Auf das da«, sagte er und warf einen bösen Blick auf ihre Papiere. »Dein Tagebuch ist dir wichtiger als dein Mann.«
»Unsinn, Roberto.«
Um seinen Blicken zu entgehen, ordnete sie die Blätter auf dem Schreibtisch. Er hatte ja rech t – ihre Aufzeichnungen waren ihr tausendmal wichtiger als er. Sie waren jener Teil der Therapie, den kein Arzt der Welt ihr abnehmen konnte. Aber wie sollte sie Roberto das erklären? Er würde es ja doch nicht verstehen. Wie der Ventilator an der Zimmerdecke kreisten die Erinnerungen in ihrem Kopf, all die Schreckensbilder, die sie auf ihrer Flucht verfolgt hatten: die Leichen, die Särge, der große Feind, das Haus der Angst, der schwarze Hun d … Und Harry. Je länger sie von ihm getrennt war, umso mehr wuchs ihre Furcht, ihn wiederzusehen.
Sie öffnete eine Schublade und ließ die Blätter darin verschwinden.
»Ich habe einen Wunsch, Roberto«, sagte sie.
»Welchen, meine Sternschnuppe?«
Sie überhörte das alberne Kosewort. »Lass uns gleich nach Mexiko fahren. Ohne Zwischenstation in New York.«
»Und meine Arbeit im Konsulat? Ich habe meinen Urlaub sowieso schon um drei
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