Himmelsdiebe
Wochen überzogen.«
»Bitte, Robert o …«
»Warum? Wenn du so dringend nach Mexiko willst, gibt es dafür doch irgendeinen Grund.« Er nahm ihr Kinn in die Hand, sodass sie ihn anschauen musste. »Welchen, Laura?«
Obwohl sie das Misstrauen in seinen Augen kaum ertrug, erwiderte sie seinen Blick.
»Aber das weißt du doch, Roberto. Ich freue mich so sehr auf die Maya-Tempel. Schon als Kind wollte ich sie sehen.«
5
Der Cadillac schwankte in jeder Kurve wie ein Schiff in der Dünung, doch Debbie steuerte den mächtigen Straßenkreuzer mit bewundernswerter Lässigkeit die Bundesstraße entlang. Eine solche Lässigkeit, dachte Harry mit einem Anflug von Neid, konnte man vermutlich nicht erwerben, sondern nur ererben. Die eine Hand am Steuer, in der anderen eine Zigarette, chauffierte Debbie ihn durch eine atemberaubende Landschaft. Unter einem kobaltblauen, von weißen Schönwetterwolken nur hier und da gefleckten Himmel öffnete sich vor ihnen der Grand Canyon, eine gigantische Schlucht steil abfallender, rostfarbener Felsen, die von dem majestätischen Strom des Colorado River durchfurcht wurde. Harry konnte es kaum erwarten, dass sie zur Aussichtsplattform gelangten, die laut Auskunft eines Straßenschilds in fünf Meilen kommen würde. Er beugte sich zum Armaturenbrett vor und stellte das Radio lauter.
»I see skies of blue, clouds of whit e …
Bright blessed days, dark sacred night s …
And I think to myself: what a wonderful worl d … «
Während Debbie den Refrain laut mitsang, ohne sich um die exakte Höhe der einzelnen Töne sonderlich zu kümmern, lehnte Harry den Arm aus dem Fenster und genoss die Fahrt. War diese grandiose Landschaft nicht der Inbegriff der USA ? Auch wenn er sich größte Mühe gab, nicht dem Mythos der Amerikaner von ihrem eigenen Land auf den Leim zu gehen, fiel es ihm verflucht schwer, seinen strengen europäischen Prinzipien treu zu bleiben. Nicht nur die überwältigende Natur, auch der Way of Life , den diese Natur hervorgebracht hatte, war mehr nach seinem Geschmack, als er sich selber eingestehen mochte. Sicher, er wusste so gut wie Pompon, dass Amerika maßlos überschätzt wurd e – die historische Aufgabe dieses Landes erschöpfte sich bekanntlich darin, bedeutenden Künstlern aus Europa bei ihrer Flucht vor den Nazi-Barbaren als Exil zu dienen, bis sie in ihre Heimat zurückkehren konnten. Doch auf dieser Reise, zu der Debbie ihn eingeladen hatte, um ihm sämtliche Wunder der USA zu zeigen, erwischte er sich immer öfter bei dem Verdacht, dass Amerika tatsächlich jenes Land der unbegrenzten Möglichkeiten sein könnte, welches die Prediger des amerikanischen Traums in ihren Kirchen und Zeitungen nicht müde wurden zu preisen.
Aber war das verwunderlich? Die neue Frau in seinem neuen Leben, Debbie Jacobs, war schließlich die Hohepriesterin und Verkörperung dieses Traums in ein und derselben Person. Seit seiner Ankunft in den USA setzte sie alles daran, ihn in einen waschechten Amerikaner zu verwandeln. Geld, so erfuhr er durch sie, war nicht nur dazu gut, auf den Champs-Élysées zum Zeichen der Verachtung aus dem Auto geworfen zu werde n – Geld machte happy ! Wenn man Geld besaß, viel Geld, und sich auf die Kunst verstand, es in geeigneter Weise auszugeben, entpuppte sich das triste graue Leben als eine einzige knallbunte Wundertüte.
Und niemand verstand sich auf diese Kunst so gut wie Debbie. Fast täglich hatte sie eine neue, herrliche Überraschung für Harry parat. Weil zwei Amerikaner unmöglich mit dreihundert Quadratmetern Wohnfläche auskommen konnten, hatte sie ihr Apartment in der Park Avenue aufgegeben und dafür ein dreistöckiges Penthouse in der Hobson Street bezogen. Darin hatte Harry nicht nur ein riesiges Atelier mit großartigem Blick auf den Hudson, es gab dort sogar ein Zimmer ganz für ihn allein, mit einem goldenen Thronsessel, der aus einem Theaterfundus stammte und auf dem niemand außer ihm sitzen durfte.
Ja, an Debbies Seite fühlte Harry sich wie ein Köni g – zum ersten Mal in seinem Leben hatte er keine Geldsorgen mehr. Sie hatte ihm nicht nur ein Auto gekauft, sie hatte ihn auch durch sämtliche Kaufhäuser New Yorks geschleppt, um seine Garderobe von Grund auf zu erneuern. Drei Dutzend Anzüge hingen nun in seinem Schrank! Zu ihrem Geburtstag hatte sie ihm einen weißen Pelzmantel für den Winter geschenkt, zusammen mit einer Taschenuhr aus Platin sowie einem diamantbesetzten Lorgnon, das ihm besser stand als jede
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