Himmelsdiebe
hatte? Nie hätte Bobby gedacht, dass eine Hochzeit eine so traurige und verlogene Angelegenheit sein könnte. Das einzig Gute daran war, dass sich dadurch die Frage nach seiner Adoption erledigt hatte.
Je länger er trank, desto weniger konnte Bobby unterscheiden, wovon ihm der Kopf eigentlich mehr schwirrte: von der Peinlichkeit der Situation, vom Alkohol oder von seinen Sorgen.
»Was ziehst du für ein Gesicht?«, fragte Harry, als er von der Toilette zurückkam.
»Ich habe Angst um Mathilde«, sagte Bobby. »Während wir hier feiern, klopft vielleicht gerade bei ihr die Gestapo an die Tür, um sie zu verhaften.«
»Du bist ein entsetzlicher Schwarzseher«, erwiderte Harry. »Genauso gut kann es sein, dass sie gerade auf dem amerikanischen Konsulat in Marseille ihr Visum bekommt. Sie hat ja selbst geschrieben, dass ihr Antrag in Bearbeitung ist.«
Obwohl er alles tat, um unbekümmert zu wirken, kannte Bobby seinen Vater gut genug, um zu spüren, wie unwohl ihm in Wirklichkeit war.
»Du musst dir keine Vorwürfe machen«, sagte er. »Dass du in Sicherheit bist, ist kein Verbrechen.«
»Das nicht. Abe r … aber ich hätte vielleicht tatsächlich energischer darauf bestehen müssen, dass wir wieder heiraten.«
Für einen Augenblick sah Harry aus wie ein alter Mann. Bobby hätte ihm gern etwas Tröstliches gesagt, schließlich feierte sein Vater heute Hochzeit. Aber es fiel ihm nichts Tröstliches ein.
»Vielleicht kann ich ja helfen«, mischte Debbie sich in ihr Gespräch. »Ich habe auf einer Party vor Jahren mal mit Eleanor Roosevelt an einem Tisch gesessen.«
»Mit der Frau des Präsidenten?«, fragte Bobby.
»Mit wem sonst? Der Hummer war fürchterlich versalzen, und wir haben zusammen gerätselt, ob der Koch wohl verliebt war. Gewiss erinnert sie sich daran.«
12
»Bist du dir wirklich sicher, dass du allein zurechtkommst?«, fragte Roberto.
»Ja, Geraldine«, erwiderte Laura.
»Verdammt noch mal, du sollst mich nicht immer Geraldine nennen! Wenn das jemand hört!«
»Selbst schuld, hombre ! Wenn du dich wie eine Gouvernante benimmst, musst du dich nicht wundern, wenn man dich wie eine Gouvernante behandelt!« Als sie sein zerknirschtes Gesicht sah, gab sie ihm einen Kuss. »Jetzt schau mich nicht so an. Ich weiß ja, du meinst es gut . – Ah, da kommt gerade ein Taxi!«
Sie sprang auf die Straße, um den Wagen anzuhalten. Der Chauffeur war ein Latin o – er hatte geöltes Haar und trug eine goldene Kette um den Hals. Vom Rückspiegel seines Chevi baumelte ein Rosenkranz mit einer sternenbekränzten Madonna herab.
» Al museo de modern art, por favor .«
»Oh, Sie sprechen Spanisch, Miss?«
Sie warf sich auf die Rückbank und verriegelte die Tür. Erst als das Taxi sich in den sechsspurigen Verkehr einfädelte, drehte sie sich noch einmal um. Roberto stand am Straßenrand und winkte ihr mit trauriger Miene hinterher. Sie hatte ihm gesagt, sie wolle ein paar Malutensilien kaufen.
»Ich bin mit einem Mexikaner verheiratet«, sagte sie. »Da bleibt mir nichts anderes übrig.«
»Ich beneide Ihren Mann!«
Der Chauffeur warf ihr im Rückspiegel einen so feurigen Blick zu, dass die Madonna rot anlief. Laura schaute zum Fenster hinaus auf die Straße. Südamerikanische Verehrung genoss sie zu Hause mehr als genug. Obwohl sie seit einem halben Jahr spanische Vokabeln paukte, dass ihr schon die Ohren davon qualmten, traute Roberto ihr immer noch keine zwei Schritte über den Weg. Wenn sie alleine ausging, musste sie ihn einmal pro Stunde anrufen, um zu berichten, wo sie gerade steckte. Andernfalls riskierte sie, dass er einen Herzinfarkt bekam. Das konnte sie ihm nicht antun, dafür hatte er zu viel für sie getan.
»Gibt es gerade eine besondere Ausstellung, señora ?«, wollte der Taxifahrer wissen. »Oder sind Sie vielleicht sogar selbst eine Künstlerin?«
Statt einer Antwort schloss Laura die Trennscheibe, die zwischen Vorderbank und Rücksitz angebracht war. Monatelang hatte sie das Museum of Modern Art gemieden, aus Angst, sie könnte Harry dort treffen. Sie durfte ihn nicht wiedersehen, zumindest nicht allein. Ein einziger Abend, und war er auch noch so schrecklich gewesen, hatte genügt, um sie wieder spüren zu lassen, was sie für ihn empfand. Obwohl Harry sich während des Essens benommen hatte wie ein Vollidiot, hätte sie ihn am liebsten an der Hand genommen, um mit ihm in den Himmel zu entfliehen. Umso schlimmer war, dass sie noch nicht mal auf Erden mit ihm zusammen sein
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