Himmelsdiebe
ihrem Mann noch nicht mal, wie in den meisten anderen amerikanischen Bundesstaaten üblich, Gehorsam geloben musste. Harry war beinahe enttäuscht.
Obwohl dem frischgebackenen Ehepaar nicht wirklich nach Feiern zumute war, gaben die zwei, kaum dass sie nach New York zurückgekehrt waren, in ihrem Penthouse ein Fest für ihre engsten Freunde. Ganz ohne Party ging es nicht. Bobby, der den Abend organisiert hatte, saß dem Brautpaar gegenüber, und obwohl Alkohol ihm weder schmeckte noch bekam, trank er bereits sein drittes Glas Champagner. Ihn hatte die Nachricht von Pearl Harbor an der Staffelei überrasch t – ohne seinem Vater davon zu erzählen, hatte er vor einiger Zeit Pinsel und Farben gekauft, um in seiner Freizeit zu malen. Noch bevor der Nachrichtensprecher die Meldung zu Ende verlesen hatte, hatte Bobby gewusst, was sie bedeutete: Seine Mutter saß in der Fall e – nur ein Wunder konnte sie jetzt noch aus Europa retten.
Doch davon war am Tisch keine Rede. Hier ging es ausschließlich und allein um die Frage, welche Künstler für würdig befunden werden konnten, in Debbies Museum aufgenommen zu werden. Im Bestreben, sich selber ein Plätzchen Unsterblichkeit in der Jahrhundertgalerie zu sichern, kritisierte jeder der Anwesenden alle nicht anwesenden Künstlerkollegen in Grund und Boden.
»Léger soll ein revolutionärer Künstler sein? Der ist doch nur ein kleinbürgerlicher Anstreiche r …«
»Aber geradezu ein Genie im Vergleich zu Lipchitz. Dieser Dilettant hat ja drei linke Hände, und keine einzige taugt dazu, Skulpturen zu mache n …«
»Hat jemand die Ausstellung von Chagall gesehen? Ich bin sicher, der würde seine eigene Großmutter mit Farbe übergießen, wenn er dafür ein paar Dollar kriegen könnt e …«
Pompon, der zu seiner Verärgerung am Fußende des Tisches platziert war, erhob seine voluminöse Stimme.
»Sag mal, Harry, wird eigentlich auch Laura Paddington in der Sammlung vertreten sein?«
Die übrigen Gespräche verstummten. Harry zuckte die Schultern.
»Da musst du nicht mich fragen. Chi paga comanda !«
Alle Blicke richteten sich auf Debbie.
»Laura Paddington ist eine großartige Künstlerin«, erklärte sie. »Natürlich bekommt sie einen Platz in meinem Museum. Harry wird mich bei der Auswahl ihrer Bilder beraten.« Zärtlich griff sie nach seiner Hand. »Nicht wahr, chéri ?«
»Es wird mir ein Vergnügen sein.«
»Und es stört Sie gar nicht, dass er sie noch liebt?«, wollte Pompon wissen.
»Haben Sie zu viel getrunken?«, erwiderte Debbie und ließ Harrys Hand los.
Pompon blickte triumphierend in die Runde. »Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Man braucht sich ja nur anzuschauen, was der verehrte Herr Gemahl in letzter Zeit so gemalt hat. Aber wenn Sie Zweifel haben, Miss Jacob s – pardon: Mrs. Winte r – können wir gern das Wahrheitsspiel spielen.«
Während Pompon nach einer leeren Flasche verlangte, zog Harry den Kopf ein wie ein Vogel, der sich unter seinem eigenen Flügel verstecken will. Debbie versuchte zu lächeln, doch ihr Gesicht erstarrte zur Maske. Bobby wusste, warum. Auch wenn Pompon ein Ekel war, hatte er recht. Wann immer der Name Laura fiel, leuchtete das Gesicht seines Vaters auf, als hätte jemand in seinem Kopf eine Osram-Birne angeknipst. Harry hatte sogar die Idee gehabt, seine Windsbraut, wie er Laura immer noch nannte, zu der Party einzuladen, und Bobby hatte seine ganze Überredungskunst einsetzen müssen, um ihn von dem absurden Einfall abzubringen. Er selbst hatte ja auch darauf verzichtet, seine Freundin einzuladen. Weil er wusste, dass ihr Erscheinen nur für noch mehr Durcheinander gesorgt haben würde.
Da kam auch schon die Flasche.
»Ein Jeu de vérité auf einer Hochzeit? Das ist ja grotesk!« Harry stand auf, bevor das Spiel beginnen konnte, und verließ den Tisch. »Ich glaube, ich muss mal pinkeln!«
»Verstehe!«, lachte Pompon und prostete ihm hinterher. »Auf deine neue Freiheit!«
Draußen auf dem Flur knallte eine Tür. Mit übertriebener Fröhlichkeit wandte Debbie sich an einen ihrer ehemaligen Liebhaber, der mit am Tisch saß, und zog ihn in ein Gespräch. Ihre warmen, braunen Augen waren voller Angst, während ihre Hände, als wüssten sie nicht, wohin, immer wieder über ihr dunkles Haar strichen. Bobby schenkte sich zum vierten Mal ein. Warum ließ sein Vater diese Frau nur in dem Glauben, er würde sie lieben? Bloß weil Kaiser Hirohito seine Kamikaze-Flieger nach Pearl Harbor geschickt
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