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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Nähte der Collage aufzutrennen und die Bilder auseinanderzureißen.
    »Bist du verrückt?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Was zum Teufel tust du dann da?«
    »Nur, was getan werden muss. Wir müssen noch mal von vorn anfangen.«
    Unbeirrt fuhr Laura fort, die Collage in ihre Einzelteile zu zerlegen, Bild für Bild, das ganze Tagebuch ihrer Liebe. Harry brauchte eine Weile, dann begriff auch er. Ja, Laura hatte rech t – die Collage war in ihrer jetzigen Gestalt ein kunterbunter Flickenteppich. Sie hatten die Teile zusammengenäht, wie sie entstanden waren, ohne Sinn und Verstand, einfach in der zeitlichen Abfolge ihrer Entstehung. Eine solche Wiedergabe aber konnte bestenfalls Abbild, niemals Sinnbild ihrer Liebe sei n – und allein darauf kam es an. Dafür mussten sie der inneren Logik ihrer Collage nachspüren, jener geheimen Beziehung der Bilder untereinander, die jede wahre Komposition bestimmt wie ein Magnet, der unter einer Platte, dem Auge verborgen, dafür sorgt, dass in einem Haufen loser Eisenspäne auf der Oberfläche eine Ordnung und Struktur entsteht.
    »Gut«, sagte Harry, als Laura alle Nähte aufgetrennt hatte, »fangen wir also noch mal von vorne an.«
    Er räumte die Möbel beiseite und breitete die Bilder auf dem Boden aus, damit alle Stücke so zusammenfinden konnten, wie sie ihrer inneren Bestimmung nach zusammengehörten. Das Schaukelpferd, das sich in ein Wildpferd verwandelt e … Die Einkleidung der Brau t … Das Schloss von Largentièr e … Der Große Zauberer in der kältestarren Eiswüst e … Die Windsbraut im Graben, nachdem das Pferd sie abgeworfen hatt e … Stunden verbrachten sie damit, die gemalten Augenblicke ihrer Liebe aneinanderzufügen. Doch wie sie die Teile auch drehten und wendete n – das endgültige Bild wollte ihnen nicht gelingen. Die Collage hatte tausendundeine Facette, aber keine wirkliche Form, keine Komposition, keine Seele. Irgendetwas fehlt e – das Ende, die Auflösung, die Katharsis. Es war, als stünden sie vor einer verschlossenen Tür, und jemand hatte den Schlüssel weggeworfen.
    Während sie nebeneinander am Boden hockten, näherten sich draußen auf dem Flur Schritte.
    »Roberto?«, flüsterte Harry und rückte unwillkürlich ein Stück beiseite.
    Die Klinke bewegte sich, langsam und zögernd, als könne derjenige, der vor der Tür stand, sich nicht entscheiden, ob er hereinkommen sollte oder nicht.
    »Heirate nie einen Mexikaner«, flüsterte Laura.
    »Keine Angst. Eine Amerikanerin reicht mir.«
    Als sie lachten, verschwanden draußen die Schritte.
    »Oh, ich glaube, jetzt haben wir ihn verscheucht«, sagte Harry.
    Ohne auf seine Bemerkung einzugehen, wandte Laura sich wieder ihrer Arbeit zu. Sie war plötzlich so ernst, dass es dafür nur einen Grund geben konnte. Kaum hatte Harry verstanden, verging auch ihm das Lachen. In dem kurzen, verschwörerischen Augenblick, in dem sie sich über Roberto lustig gemacht hatten, schien alles so wie früher gewesen zu sein. Doch Harry wusste, der Himmel war der Himmel, und er hatte ihm gerade nur so viel preisgegeben vom Paradies, wie für ein Erdenkind nötig war, um an der Wirklichkeit zu verzweifeln. Nein, nichts war so wie früher, gar nichts! Zu deutlich war der Abstand, mit dem Laura sich umgeben hatte wie mit einer unsichtbaren Aura. Sie war ihm so na h – und doch so fern, wie von einem anderen Planeten.
    Wo war seine Windsbraut geblieben? Gab es sie nur noch in ihrer Kunst?
    »Wenn du malst«, sagte er, »bist du wenigstens dann noch auf der anderen Seite?«
    Laura dachte kurz nach. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein«, sagte sie. »wirklich nicht. Ich könnte genauso gut kochen oder Rosen schneiden oder Schlittschuh laufen. Es ist ein ruhiger, angenehmer Gemütszustand. Von der anderen Seite kommen nur die Ideen. Aber mit meinem Leben hat das nichts mehr zu tun. Das führe ich allein, auf dieser Seite.«
    Ihre Antwort war so ernüchternd wie schwarzer, ungesüßter, bitterer Kaffee nach einer durchfeierten Nacht.
    »Das glaube ich nicht!«, erwiderte Harry. »Das redest du dir nur ein!«
    »Vielen Dank, Dr. Freud. Gott sei Dank wissen Sie besser, was ich empfinde, als ich selbst. Bitte schicken Sie mir die Rechnung.«
    »Mach dich nur lustig. Aber ich durchschaue dich. Du willst nur deine Gefühle verbergen. Vor allem vor dir selbst.«
    Er versuchte, ihren Blick aufzufangen. Doch sie schaute angestrengt zu Boden, wo die Bilder vor ihnen lagen.
    »Soll ich dir sagen, weshalb uns die Collage nicht

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