Himmelsdiebe
gemietet, um vor der Presse für ihr Museum zu werben. Hundert Journalisten hatte sie eingeladen, und zweihundert hatten sich angemeldet.
Ungeduldig verfolgte sie nun ihr Kommen. Sie wollte sich den Pressefritzen erst zeigen, wenn die ganze Meute versammelt war. Die wichtigsten Redakteure erschienen natürlich wie immer zuletzt. Als endlich auch die Kritiker der New York Times und der Washington Post in der Drehtür verschwunden waren, verließ Debbie das Taxi und machte sich auf den Weg.
Im Foyer wartete Bobby, der die Veranstaltung organisiert hatte. Debbie begrüßte ihn mit einer Umarmung. Bobby war ihr Verbündeter. Ohne ihn hätte sie ihr Ziel nie erreicht.
»Sie kommen allein?«, fragte er. »Ohne Harry?«
»Harry arbeitet.«
»Alles andere wäre auch ein Wunder gewesen.«
»Sind Sie immer noch enttäuscht, weil er nicht zu Ihrem Geburtstag gekommen ist?«
Bobby zuckte die Schultern.
»Das dürfen Sie nicht. Harry ist ein Künstler, für ihn gelten andere Regeln als für normale Menschen.«
»Das ist zumindest seine Sicht der Dinge.«
»Auch meine«, erklärte Debbie.
»Die Journalisten werden jedenfalls enttäuscht sein«, sagte Bobby. »Wir haben ihn in der Einladung als wichtigsten Künstler der Ausstellung bezeichnet. Hoffentlich gibt es keinen Aufstand. Glauben Sie, dass er wenigstens fertig wird?«
»Um ehrlich zu sein«, erwiderte Debbie, »ich weiß es nicht. Harry arbeitet hinter verschlossenen Türen. Ich darf sein Atelier nicht betreten. Falls er es schafft, will er die Collage diese Nacht aufhängen. Allein. Das ist alles, was ich aus ihm rausbekommen habe.«
»Und Laura? Wird sie zur Eröffnung kommen?«
Debbie schüttelte den Kopf. »Nein, Laura und ihr Mann fliegen morgen nach Mexiko.«
»Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Doch. Leider.«
»Was ist der Grund?«, fragte Bobby. »Es ist doch auch ihr Bild, genauso wie seins.«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Weshalb nicht?«
»Weil ich Laura versprochen habe, es nur einem Menschen zu sage n – Harry.«
Bei der Erinnerung an das Gespräch wuchs ihr ein Kloß im Hals. Mit einem irritierten Stirnrunzeln erwiderte Bobby ihren Blick.
»Jetzt ziehen Sie kein solches Gesicht«, sagte Debbie und gab ihm einen Klaps. »Es gibt gute Nachrichten aus dem Weißen Haus.«
»Wegen meiner Mutter?«
»Ja! Irgendein hohes Tier hat dem amerikanischen Konsulat in Marseille die Bewilligung für ihre Einreise in die USA gekabelt. Jetzt müssen nur noch die Franzosen das Ausreisevisum abstempeln, und Ihre Mutter ist frei.«
Die Besorgnis verschwand aus Bobbys Gesicht, als hätte jemand sie mit einem Schwamm weggewischt. »Ach Debbie«, rief er und gab ihr einen Kuss. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Ich schon«, erwiderte sie lachend. »Halten Sie mir da drinnen die Meute vom Hals . – Aber jetzt kommen Sie. Wir dürfen sie nicht länger warten lassen. Ich hör sie schon knurren.«
9
Als Harry das Museum betrat, war die Eingangshalle in tiefe, dunkle Schatten gehüllt. Nur die bunten Neonlichter draußen von der Straße, die im Rhythmus der Reklame durch das Fenster schienen, beleuchteten mit lautlosem Flackern die Bilder von Debbies Sammlung an den Wänden: The Century Gallery of Modern Art . Harry fühlte sich, als würde er sich in einen Schlafsaal schleichen, in dem Seite an Seite, wie in einer Jugendherberge, lauter alte Bekannte schliefen. Ja, sie waren alle in diesem Museum versammelt, die größten und bedeutendsten Künstler dieses Jahrhunderts, seine Freunde und Widersacher, aus den verschiedensten Ecken und Enden Europas, Weggefährten seines Künstlerlebens, die er zum Teil schon seit Jahrzehnten kannte. Vereint in Erwartung des kommenden Tags, an dem über ihrer aller Rang in der Kunstwelt neu entschieden würde, blickten sie im zuckenden Licht der Reklame auf ihn herab: Picasso und Matiss e … Malewitsch und Lége r … Mondrian und Kandinsk y … Braque und Chagal l … Dix und Mir ó …
Harry schaltete das Licht an.
»Wenn ihr darauf spekuliert habt, ich würde es nicht mehr schaffen, habt ihr euch zu früh gefreut!«
Er ließ die Leinwand zu Boden, die er in einer Jutehülle hierher transportiert hatte, und rollte sie zu Füßen seiner Rivalen aus. Ja, er war noch rechtzeitig fertig geworden! Alle Stücke waren bereits miteinander vernäht. Nur das letzte nicht, das Bild, nach dem er so lange gesucht hatte. Das wollte er erst hier in die Collage einfügen, am Ort ihrer ersten Präsentation.
War
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