Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
die Himmelsbeute jetzt vollkommen?
    Mit einem Föhn hatte er das Bild getrocknet, das er nach durchgearbeiteter Nacht im Morgengrauen fertiggestellt hatte und nun mit den anderen Teilen vernähte, im Zentrum und Herzen der Komposition. Noch einmal hatte er Laura gemalt, zum allerletzten Mal, um eine Wahrheit erträglich zu machen, die in Wirklichkeit nicht zu ertragen war. Wie eine Himmelfahrt hatte er das Bild angelegt, doch statt in die Wolken aufzusteigen wie die Madonnen und Heiligenfiguren der alten Meister, kehrte seine Windsbraut aus den Lüften auf die Erde zurück. Um ihre Erdenfahrt herum waren all die anderen Bilder gruppiert, die er und Laura im Laufe der Jahre gemalt hatten, nach der Logik ihres inneren Zusammenhang s – die ganze Geschichte ihrer Liebe. Dutzende von Augenblicken, die sie dem Himmel gestohlen hatte n … Und auch die Augenblicke, die der Hölle entstammte n … Von Dada und dem Wildpfer d … Von der Windsbraut und dem Großen Zaubere r … Von Harry und Laur a …
    »Verflucht!«
    Er hatte sich in den Finger gestochen, ein Tropfen Blut quoll aus der Kuppe hervor. Er leckte den Finger ab und hielt ihn in die Höhe. Vielleicht war es kein Zufall, dass er sich verletzt hatte, vielleicht hatte sein Unterbewusstsein ihn gesteuer t – weil er sich vor sich selbst seiner Tränen schämt e … Ach was, er hatte keinen Grund zu weinen, er hatte akzeptiert, dass Laura ihn verlassen hatte, dass ihre Liebe für immer beendet war. Was zählte das Leben im Vergleich zur Kunst? Ars longa, vita brevis ! Zwar hatte er Laura verloren. Doch dafür hatte er mit ihr ein Kunstwerk geschaffen, das in die Geschichte eingehen würde: ein Bild, das nur mit den größten Werken der größten Genies vergleichbar war und das noch Generationen von Menschen bewundern würden, für ewig und alle Zeit.
    Damit die Leinwand keinen Schaden nahm, verband Harry den blutenden Finger mit seinem Taschentuch und machte sich wieder an die Arbeit. Jeder Stich dauerte eine Ewigkeit. Eigentlich konnte er sich nicht über mangelndes handwerkliches Geschick beklagen. Er benutzte bei seiner Arbeit alles mögliche Gerät, um irgendwelche Gegenstände in Kunst zu verwandeln. Nur mit Nadel und Faden tat er sich schwe r – über eine halbe Stunde brauchte er für die paar Nähte.
    Er hatte die Arbeit beinahe beendet, da hörte er eine Stimme.
    »Brauchen Sie Hilfe oder kommen Sie allein zurecht?«
    Harry drehte sich um. In der Tür stand eine Fra u – Laura. Eine Weile starrte er sie wortlos an. Er wollte etwas sagen, doch seine Zunge versagte ihm den Dienst, als hätte irgendetwas in ihm Angst, dass die Frau in der Tür nur ein Traum war und sich verflüchtigen würde, sobald er den Mund aufmachte.
    Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob die Erscheinung tatsächlich Laura war.
    Er ließ seine Arbeit liegen und trat auf sie zu.
    »Ich glaube, wir kennen uns«, sagte er. »Haben wir nicht schon mal miteinander geschlafen?«
    »Ja«, erwiderte sie mit einem spöttischen Lächeln, »ich erinnere mich, wenn auch nur flüchtig. Haben Sie nicht versucht, mich zu befriedigen?«
    »Laur a …«
    Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Nein, sie war kein Geist, kein Hirngespinst, keine Ausgeburt seiner gequälten Seele. Sie war es, wirklich und wahrhafti g – seine Windsbraut, die Liebe seines Lebens!
    »Du bist zurückgekommen«, flüsterte er. »Mein Gott, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin. Und ich Idiot hatte schon geglaub t …«
    »Pssst«, machte sie und legte einen Finger auf seinen Mund. Sie trat zu ihm an die Collage. »Du hast unser Bild also doch noch vollendet?«
    »Ja«, sagte Harry. »Es war meine einzige Chance, mich nicht umzubringen. Gefällt es dir?«
    »Es ist wunderbar. Auch wenn noch eine winzige Kleinigkeit fehlt.«
    »Was?«, fragte Harry. »In der Gerätekammer sind Pinsel und Farben.«
    Laura schüttelte den Kopf. »Nein, mein Geliebter, nicht jetzt. Jetzt möchte ich mit dir feiern, unser Bild, in dieser Nacht, bevor die anderen komme n …«
    Während sie sprach, streifte sie sich den Mantel von den Schultern. Darunter trug sie das weiße Leinenkleid, das Harry so sehr an ihr mochte.
    »Machst du das Licht aus?«, fragte sie.
    »Natürlich«, sagte er und betätigte den Schalter. »Aber seit wann schämst du dich vor mir?«
    Eingetaucht in das bunte, unstete Licht der Reklame, lächelte sie ihn an.
    »Nicht vor dir, mein Geliebte r – nur vor denen da.«
    Während sie den

Weitere Kostenlose Bücher