Himmelsdiebe
Laura, während sie seinen Teller auffüllte. »Auch consommé de vérité genann t – Wahrheitssuppe. Sie stärkt nicht nur den Körper, sondern vor allem den Geist. Aber was ziehen Sie für ein Gesicht?«
Harry musste an sich halten, um nicht laut loszulachen. Pompon hatte den Löffel schon zum Mund geführt, doch plötzlich bremste er ab, als habe man ihm Gift serviert. Mit gefurchter Stirn und spitzen Lippen nahm er einen Tropfen von der Suppe.
»Nun?«, fragte Laura. »Wie lautet das Urteil Eurer Heiligkeit?«
»Man kann das Gebräu kaum genießen, so abscheulich schmeckt es.« Pompon schüttelte sich. »Was wir damit sagen wollen«, fügte er dann, wieder ganz Papst, hinzu, »Ihre Suppe ist im höchsten Grad e – phantastisch !«
3
Unter dem Beifall der Gäste verließen sie das Café Flore . Obwohl Laura in lautes Triumphgeheul hätte ausbrechen können, wahrte sie die Haltung, die man von einer neu gekrönten Musen-Majestät erwarten durfte. Ohne ihre Untertanen eines Blickes zu würdigen, hakte sie sich bei Harry ein und zog das feierlichste Gesicht, zu dem sie fähig war. Doch der Weg bis zur Tür war wie ein verwunschener Pfad, der mit jedem Schritt ein Stückchen länger statt kürzer zu werden schien.
»Was für ein Debüt«, sagte Harry, als sie endlich auf der Straße waren.
»Du meinst, ich habe sie erobert?«, fragte Laura und hüpfte um ihn herum.
»Erobert? Du hast sie verzaubert!«
Laura sah ein Blitzen in seinen Augen. War das Dada, der ihr ein Zeichen gab? Sie spürte noch einmal den Kuss, den Harry ihr gegeben hatte, und ihre Knie wurden weich. Doch statt sie erneut zu küssen, schaute er in den Himmel.
»Der Regen hat aufgehört«, sagte er. »Was meinst d u – bist du schon müde, oder machen wir noch einen Spaziergang?«
»Einen Spaziergang. Müde bin ich erst, wenn ich schlafe.«
Die meisten Lichter in den Häusern waren erloschen, einsam und verlassen lag vor ihnen der Boulevard. Nur eine einzelne Gestalt huschte über die Kreuzung und verschwand im Schatten der Kirche. Während sie Hand in Hand durch die leeren Straßen in Richtung Seine schlenderten, war es so still, dass Laura glaubte, das Singen der Sterne zu hören, die hier und da zwischen den Wolken blinkten. Tief sog sie die feuchte Nachtluft ein. In nur wenigen Stunden würde der neue Tag anbrechen, aber sie fühlte sich so hell und wach, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Obwohl sie keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte, war sie immer noch wie berauscht. Von all den Worten und Ideen und Gesprächen der vergangenen Stunden, die in ihr perlten wie Champagner.
»Wie haben dir meine Freunde gefallen?«, wollte Harry wissen, als sie den Pont Neuf erreichten.
»Es ist, als hätte ich endlich meine wahre Familie gefunden. Meine alte Familie hat mir immer einreden wollen, ich wäre verrückt. Jetzt weiß ich, dass ich es bin.«
»Gott sei Dank!«, lachte Harry. »Aber was hättest du gemacht, wenn einer von deinen neuen Brüdern und Cousins seinen Teller tatsächlich leer gegessen hätte?«
»Du meins t – wegen dem Nachtisch?« Neugierig blickte Laura ihn von der Seite an. »Hattest du etwa Angst?«
»Pompon hat fast die ganze Suppe ausgelöffelt«, sagte er, ohne ihren Blick zu erwidern. »Obwohl er sich fürchterlich geekelt hat. Was meinst du wohl, warum er das getan hat?«
»Dafür hat er von dem Austern-Hasen nur zwei Bissen geschafft. Und die kandierte Nachtigall hat er nicht mal angerührt. Dabei habe ich mir mit der die größte Mühe gegeben. Nein, er hatte keinen Nachtisch verdient, genauso wenig wie die anderen.«
»Er hat den ganzen Abend nur mit dir gesprochen. Er hat für dich sogar sein Wahrheitsspiel geopfert.«
»Ist da vielleicht jemand eifersüchtig?«
»Unsinn! Aber weißt du, wie oft er phantastisch gesagt hat? Sechsundzwanzig Mal!«
»Hast du etwa mitgezählt?«
»Natürlich! Das ist einsamer Rekord. So aus dem Häuschen habe ich Pompon noch nie erlebt, nicht mal be i …«
Plötzlich blieb Harry stehen.
»Florence?«
Laura schaute in die Richtung der Cité. Vor ihnen, in der steinernen Ausbuchtung des Brückengeländers, wartete die Elfe.
»Was willst du?«, fragte Harry. »Hast du uns etwa aufgelauert?«
»Ich muss mit dir sprechen«, sagte Florence.
»Siehst du nicht, dass ich in Begleitung bin?«
»Ich lass mich nicht mehr von dir abwimmeln! Es geht um uns beide! Um dich und mich!«
Harry fasste Laura am Arm. »Komm, gehen wir nach Hause!«
»Ich warne dich! Du musst
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