Himmelsdiebe
Einfälle nie mehr versiegt. Kommt her, die ihr nüchtern und einfallslos seid! Berauscht euch an ihr.« Er sog ein paar Mal an seiner Pfeife und blies dann den Rauch in ihr Haar. »Trinkt von ihren Locken! Mirakellocken! Sie wirken stärker als Haschisch und Alkohol!«
Der Rauch stieg von ihrem nassen Haar auf wie die Dämpfe einer magischen Quelle. Als Erster erhob sich Pierre Lauréat von seinem Platz, Harrys bester Freund, mit dem er sich vor Jahren dessen Frau Jelena geteilt hatte, bevor diese mit Amador Talmí durchgebrannt war, dem einzigen Genie Europas, das sich zu den Faschisten bekannte. Während Pierre den Rauch inhalierte, verließ einer nach dem anderen in der Runde den Tisch, um von Lauras Locken zu trinken. Harry war stolz auf sie, als hätte er sie selber erschaffen. Wie eine griechische Tempelpriesterin stand sie da und nahm die Huldigungen seiner Freunde entgegen.
Nur auf einen machte sie keinen Eindruck: René Pompon. Wie aus Beton gegossen, verharrte er an seinem Platz, die Hände vor der Brust gefaltet. Harry stieß einen leisen Fluch aus. Von Pompon hing alles ab. Nur wenn er Lauras Auftritt mindestens einmal »phantastisch« nannte, würden die anderen sie akzeptieren. Versagte er ihr aber seinen Beifall, war sie durchgefallen, noch bevor der Abend zu Ende war. Und Humor gehörte nicht zu Pompons Stärken.
Mit bloßen Füßen tanzte Laura auf ihn zu.
»Sind Sie hier der Papst?«, fragte sie ihn in ihrem englisch-französischen Kauderwelsch.
»Wie kommen Sie darauf?«, erwiderte Pompon.
»Sie sehen so pompös aus! Sie sollten sich in Rom bewerben! Der Heilige Stuhl erwartet Sie! Doch bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich muss mich ums Essen kümmern.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, tanzte sie zur Küche hinaus. Ein paar Gäste pfiffen und johlten vor Begeisterung. Harry wäre es lieber gewesen, sie hätten etwas leiser ihren Beifall bekundet. Denn Pompon verzog keine Miene. Wie ein Großinquisitor, der gerade einen Hexenprozess eröffnet, saß er da.
»Warum bist du wieder in Paris?«, wollte er von Harry wissen, als Laura fort war. »Ich dachte, du wolltest gegen die Faschisten kämpfen. Hat sie dich davon abgehalten?«, fragte er mit einem Blick in Richtung Küchentür. »Florence war bereit, dich nach Spanien zu begleiten.«
Harry begriff. Von daher wehte also der Wind! Pompon lehnte Laura ab, weil er immer noch ihre Vorgängerin verehrte. Florence hatte ihm einmal aus der Hand gelesen und ihm den Nobelpreis prophezeit.
Da ihm nichts Besseres einfiel, nahm Harry Zuflucht zur Wahrheit. »Ich konnte mich nicht entscheide n – ich meine, ob ich nach Madrid oder nach Köln fahren sollte«, sagte er. »Also bin ich meinen Bildern gefolgt. Und die waren in Paris.«
Sein Freund Pierre kam ihm zu Hilfe. »Harry hat im Schützengraben nichts verloren. Seine Front ist die Malerei. Seine Gemälde sind für die Faschisten viel gefährlicher als seine durchsiebte Leiche.«
Pompon zuckte nur verächtlich mit den Achseln. »Seine Gemälde können Franco so wenig aufhalten wie deine Gedichte. Das können nur Gewehre.«
»Und warum bleibst du dann hier in Paris?«, fragte Pierre. »Statt nach Spanien zu fahren, um gegen Franco zu kämpfen?«
»Soll das eine Kritik sein?«, erwiderte Pompon scharf. »Du weißt so gut wie ich, dass ich hier unersetzlich bin. Ohne mich würde die ganze Bewegung auseinanderbrechen.«
»Bewegung?«, wiederholte Pierre. »Was für eine Bewegung? Wir sind keine politische Partei! Nur du führst dich auf wie ein Diktator!«
»Seit wann hast du was gegen Diktatoren? Ausgerechnet du?«
»Was willst du damit sagen?«
»Was jedermann in Paris weiß: dass du ein Stalinist bist!«
Das eine Wort genügte, und der Lärm im Café Flore erstarb. Harry wusste nicht, was er davon halten sollte. Laura war zwar aus der Schusslinie. Aber die Stimmung war zum Teufel.
»Ja, ich bekenne mich zu Josef Stalin«, erklärte Pierre in die Stille hinein. »Und ich habe keinen Grund, mich dafür zu schämen. Stalin ist der einzige Politiker in Europa, der imstande ist, die Faschisten in Schach zu halten.«
»Dass ich nicht lache!«, entgegnete Pompon. »Stalin ist selbst ein Faschist. Er ist kein bisschen besser als Hitler! Statt Hitler in Schach zu halten, wird er sich mit ihm verbünden. Damit sie zusammen die Freiheit ausrotten.«
»Halt sofort deinen Mund! Das ist eine gottverdammte Lüge!«
»Lüge? Das ist die gottverdammte Wahrheit!«
In verbiestertem Schweigen blickten
Weitere Kostenlose Bücher