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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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er plötzlich todmüde. Sein Gesicht war grau, und seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Während er sich den Kittel auszog, trat Laura zu ihm an die Staffelei.
    Als sie das Bild sah, machte sie unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Eine Furie in schreienden Farben sprang ihr von der Leinwand entgegen, ein furchterregender, wütend bedrohlicher Drache, der alles, was sich ihm in den Weg stellte, zerstörte und vernichtete. Nur ein kleines, zierliches Vogelwesen versuchte, ihn aufzuhalte n – Dada, der Vogelobere, Harrys Alter Ego, das auf seinen Bildern immer wiederkehrte.
    »Was ist?«, fragte er. »Gefällt es dir nicht?«
    Eine Weile stand Laura einfach nur da und staunte. Würde sie jemals fähig sein, so etwas zu malen? Harry hatte den Auftritt seiner Frau einfach in Kunst verwandelt. Der Drache war Florence und zugleich viel mehr: das ganze Drama des Lebens, mit all seinen Ängsten und all den dunklen Mächten, die es bedrohten. Simsalabim.
    »Was für ein wunderbares Bil d …«
    »Nicht wahr?«, erwiderte er. »Ein weiteres wunderbares Bild, das jedoch leider, leider unverkäuflich sein wird. Wie alle anderen Bilder, die ich seit unserer Rückkehr gemalt habe.«
    »Die Pariser sind Idioten«, sagte Laura. »In London wärst du ein reicher Mann.«
    »Es ist, als hätte jemand das Licht ausgeknipst. Die Galeristen wollen nichts mehr von mir wissen, und die Sammler lassen sich nicht blicken. Irgendjemand versucht, mir das Wasser abzugraben.« Er sah aus wie ein großer Junge, den man um seinen Lohn betrogen hat.
    »Armer Harry.« Obwohl Laura gerade noch so wütend auf ihn gewesen war, dass sie ihn am liebsten erwürgt hätte, erfasste sie eine Woge der Zärtlichkeit, die ihren Körper regelrecht flutete. Der Anblick eines seiner Bilder reichte, um ihm alles zu verzeihen. »Hast du eine Ahnung, wer dir schaden will?«
    Harry zuckte die Schultern. »Nicht im Geringsten. Ich tue doch keiner Fliege was zuleide.«
    »Lass dich nicht verrückt machen!«, sagte Laura. »Pompon hat erzählt, dass nächste Woche irgendeine reiche Amerikanerin nach Paris kommt. Mit einem Flugzeug voller Dollars, um Bilder zu kaufen.«
    »Debbie Jacobs«, sagte Harry verächtlich. »Die klappert die Ateliers von ganz Europa ab, um in New York ein Museum zu eröffnen. Als wären Ateliers Warenhäuser und Bilder Kurzwaren oder Unterwäsche. Weil die Amis selbst keine Kunst haben, glauben sie, sie könnten sie kaufen.«
    »Und ob die Amis Kunst haben!«, protestierte Laura. »Hast du schon mal ihre Geldscheine gesehen? Schönere Kunstwerke kann ich mir im Moment gar nicht vorstellen!«
    »Meine kleine nüchterne Engländerin«, sagte er und lächelte sie an. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin ja bereit, dieses amerikanische Monster zu empfangen.« Dann wurde sein Gesicht ernst. »Und zwar deinetwegen.«
    »Meinetwegen?«
    Laura erschrak. Der letzte Brief ihrer Mutte r – sie hatte ihn aus Versehen auf dem Küchentisch liegen lassen. Hatte Harry ihn gelesen und wusste von ihrem Geheimnis?
    »Ja, deinetwegen«, bestätigte er. »Ich habe vorgestern bei Lafayette einen Anzug anprobiert, den ich mir leider nicht leisten kann. Um ihn nicht kaufen zu müssen, habe ich ihn eine Stunde lang im Kaufhaus spazieren getragen, durch sämtliche Abteilungen, bis ich ihn leid war. Dabei habe ich ein Kleid gesehen, das dir großartig stehen müsste. Es sieht aus wie der Duft eines zarten Parfüms.«
    »Ach Harry«, sagte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Was bist du nur für ein wunderbares Ungeheuer? Zum Glück habe ich es aufgegeben, dich zu verstehen.«
    »Das zeichnet dich vor allen anderen Frauen aus«, sagte er. »Aber pssst! Halt mal den Mund!«
    Er lief zum Radio und drehte den Ton lauter. Gerade hatten die Nachrichten begonnen. Der Sprecher redete furchtbar schnell, und Laura musste sich höllisch anstrengen, um den französischen Wortschwall zu verstehen. Auch wenn sie nicht jeden Satz mitbekam, begriff sie doch den Sinn der Nachricht. Sie betraf den Mann, der vor ihr stand.
    »… die Ausstellung Entartete Kunst schlägt in Deutschland derzeit alle Rekorde. Schon zwei Millionen Besucher haben die Sammlung der Nazi-Regierung gesehen. Sechshundertfünfzig konfiszierte Werke aus zweiunddreißig Museen, die nach der Ausstellung zerstört werden sollen, darunter Bilder von Ernst Barlach, Max Beckmann, Lovis Corinth, Otto Dix, Harry Winte r …«
    5
    In endlosen Schleifen wand sich die Menschenschlange auf dem mit Hakenkreuzfahnen

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