Himmelsdiebe
natürlich, dass du schwanger bist!«
»Ic h … ich wusste es schon in London. Dr. Drieux hatte es mir einen Tag vor der Abreise gesagt. Aber ich wollte dir die Vernissage nicht verderben. Du hattest dich doch so auf die Ausstellung gefreut.«
»Und deshalb hast du mir die ganze Zeit was vorgemacht? Bist du wahnsinnig?«
»Ich wollte ja mit dir sprechen! Immer wieder habe ich es versucht. Aber du wolltest nichts von mir wissen! Nicht mal, als ich in die Seine gesprungen bin.«
»Willst du mir daraus jetzt einen Vorwurf machen? Wie zum Teufel sollte ich riechen, was los war? Keine normale Frau springt mitten im Winter in einen Fluss, wenn sie ein Kind bekommt. So was tut nur eine Verrückte!«
Harry fühlte sich wie in einem Albtraum. Als Florence ihm eröffnet hatte, dass er noch einmal Vater werden würde, war sein erster Impuls gewesen, sich im Café Flore zu betrinken. Aber dann hätte es geheißen, er würde sich vor seiner Verantwortung drücken, und diesen Vorwurf wollte er nicht riskieren. Also war er bei Florence geblieben, nicht nur die erste Nacht, in der die werdende Mutter tief und fest in ihrem Bett geschlummert hatte, als wäre sie im siebten Himmel, sondern eine ganze Woche lang, in der verzweifelten Hoffnung, dass Dr. Drieux sich vielleicht geirrt hatte und Florences Regel irgendwann wieder einsetzte. Aber ihre Regel scherte sich einen Dreck um seine verzweifelte Hoffnung, und als zehn Tage ohne einen Tropfen Blut vergangen waren, musste Harry einsehen, dass sein Albtraum Wirklichkeit war. In ihrem Nachthemd sah Florence genauso aus wie die Furie, die er gemalt hatte.
»Im wievielten Monat bist du?«
»Wenn der Arzt richtig gerechnet hat, in der elften Woche.«
Harry zählte an den Fingern nach. »Sehr gut, das sind noch keine vier Monate.«
»Was willst du damit sagen?«
»Muss ich dir das wirklich erklären?«
Florence wurde blass. »Nein!«, rief sie, »Da s … das kannst du nicht wolle n – unmöglich! Es ist mein Kind, unser Kind!« Sie schlug ein Kreuzzeichen und fing an zu beten. »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibe s …«
»Hörst du wohl auf der Stelle mit dem Unsinn auf!«
»Ja natürlich, sofort! Bitte verzeih mir!« Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. »Ich bin bereit, alles zu tun, was du willst. Du kannst weiter leben wie immer. Ich erwarte nichts von dir! Du kannst ins Flore gehen, du kannst andere Frauen haben, ich werde dich nicht daran hindern. Von mir aus kannst du dich sogar mit dieser Engländerin treffen.«
»Das hat sich erledigt.«
»Aber bitte, lass mir unser Kind!«
So plötzlich, wie sie ihn umarmt hatte, machte sie sich von ihm los. Sie lief zum Schreibtisch, öffnete eine Schublade und holte daraus ein Blatt Papier hervor.
»Da!«, sagte sie und reichte es Harry.
Misstrauisch schaute er auf das Papier. »Was ist das?«
»Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis«, sagte Florence. »Von meinem Vater. Ich hab ihm gedroht, mich umzubringen, wenn er sie dir nicht gibt. Damit kannst du überall in Frankreich leben! Wo immer du willst! Solange du willst!«
Harry starrte auf das Dokument, das sie in der Hand hielt wie einst Eva den Apfel. Eigentlich war es nichts weiter als ein unscheinbarer, schmuckloser Fetzen Papier. Und doch hatte es die Macht, über ein Leben zu entscheiden. Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis war in den Pariser Emigrantenlokalen ein Vermögen wert, und Harry kannte mindestens ein Dutzend Kollegen, die dafür ihre Seele hergegeben hätten. Außerdem hatte die Zeit, die inzwischen verstrichen war, nicht nur die Gewissheit seiner Vaterschaft besiegelt, sondern auch das Ende der Gnadenfrist, die sein Schwiegervater ihm eingeräumt hatte. Die Ausweisung hing wie ein Damoklesschwert über ihm, und diese Bedrohung ängstigte ihn so sehr, dass er seit Tagen kein einziges Bild mehr gemalt hatte.
Trotzde m – durfte er ein solches Geschenk annehmen?
»Bitte«, sagte Florence. »Nimm e s – mir zuliebe! Ganz egal, wie wir uns entscheiden.«
Sie hielt ihm das Papier so dicht unter die Nase, dass er nicht länger widerstehen konnte.
»Na gut«, sagte er schließlich und steckte es ein. »Aber nur, weil du darauf bestehst!«
»Gott sei Dank«, rief sie und schlang erneute die Arme um ihn. »Ich wusste, dass du mich liebst!«
»Aber das hat nichts mit meiner Entscheidung zu tun!«, erwiderte er, als sie anfing,
Weitere Kostenlose Bücher