Himmelsdiebe
der verrückten Florence zusammenlebte? Auf dem Treppenabsatz blieb Bobby stehen. Die vielen Treppenstufen hatten ihn außer Atem gebracht. Oder war es die Angst vor dem Wiedersehen? Das Telefonat mit Florences Vater fiel ihm plötzlich ein. Ohne zu wissen, warum, beschlich ihn bei der Erinnerung ein ungutes Gefühl. Er hatte dem Polizeipräsidenten zwar nichts verraten, was nicht jedermann wissen durfte. Doch Monsieur Philibert hatte sich so überschwänglich bei ihm bedankt, als hätte er ein Staatsgeheimnis erfahren.
Bobby gab sich einen Ruck und klopfte an die Tür.
»Herein!«
Als er die Wohnung betrat, empfing ihn weder sein Vater noch Florence, sondern eine fremde Frau. Sie stand inmitten offener, halb gepackter Umzugskisten an einer Staffelei und schaute ihn mit großen, schwarzen Augen an, die wie zwei Kohlestücke glühten. Bobby machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Wer war das? Eine neue Geliebte seines Vaters? Die Frau war kaum älter als er selbst, und obwohl sie ein zerschlissenes und mit Farbklecksen übersätes Hemd trug, war sie das schönste weibliche Wesen, das Bobby je gesehen hatte. Ihr Anblick verwirrte ihn so sehr, dass er kaum imstande war, einigermaßen zusammenhängend zu reden.
»Bitt e … bitte entschuldigen Sie die Störung«, stammelte er. »Wohnt hier nicht Harry Winter? Ic h … ich bin nämlich sein Sohn.«
»Das glaube ich auch ohne Ausweis«, erklärte die Fremde in so schlechtem Französisch, dass Bobby sie nur mit Mühe verstand. »Sie sind ihm ja wie aus dem Gesicht geschnitten. Mein Got t – was für eine Ähnlichkeit!« Sie legte ihren Pinsel beiseite und reichte ihm die Hand. »Laura«, sagte sie. »Laura Paddington. Und du musst Bobby sein, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das?«
»Hast du noch nie in den Spiegel geschaut?«, fragte sie zurück. »Außerdem hat Harry mir von dir erzählt.«
Bobby begriff: Ja, sie war seine Geliebte. Was sons t.
»Können Sie mi r … kannst du mir sagen, wo ich meinen Vater finde?«
Plötzlich wurde ihr Gesicht so hart, dass Bobby erschrak. Sie nahm den Pinsel, den sie gerade erst abgelegt hatte, wieder zur Hand und kehrte ihm den Rücken zu.
»Harry ist bei seiner Ex-Frau«, sagte sie, während sie an die Staffelei trat, um weiter zu malen.
»Bei Florence?«
»Ja. Offenbar hat er dort noch genitale Pflichten zu erfüllen. Kein Grund, sich aufzuregen«, fügte sie hinzu, als sie sein Gesicht sah. »Ich werde übrigens auch nur noch ein paar Tage hier bleiben. Die Wohnung ist schon gekündigt. Ich reise nach Mexiko. Warst du schon mal dort? Es muss wunderbar sein! Ich kann es kaum erwarten, die Maya-Tempel zu sehen.«
Sie gab sich alle Mühe, fröhlich zu klingen, doch Bobby glaubte ihr kein Wort. Ihr Versuch, ihn zu täuschen, machte ihn so verlegen, dass er kaum wusste, wohin er schauen sollte. Außer Dutzenden von Bildern, die überall im Raum verteilt waren, sah er auf einem Feldbett ein Steckenpferd liegen, das ihm früher einmal selbst gehört hatte. Jemand hatte damit seinen Vater für eine Zeitschrift fotografiert. Obwohl Bobby damals noch ein Kind gewesen war, war ihm das Foto ziemlich albern erschiene n – sein Vater mit einem Steckenpferd, fast hatte er sich für ihn geschämt. Um irgendetwas zu sagen, fragte er nach dem Bild auf der Staffelei.
»Ist das von dir oder von ihm?«
Laura zuckte die Schultern. »Er hat es angefangen, bevor er mich verlassen hat. Es heißt Un peu de paix – ein bisschen Frieden. Offenbar hat er den bei mir nicht gefunden.«
»Und darum malst du es nun fertig?«
Statt ihm zu antworten, blies sie sich eine Locke aus der Stirn und konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Auf einer zweiten Staffelei lehnte ein weiteres angefangenes Ölgemälde, das Laura in Reithosen und Stiefeletten zeigte, in einem seltsam kahlen, geschlossenen Raum. Während über ihrem Kopf ein Schaukelpferd an der Wand schwebte, galoppierte draußen vor dem Fenster ein weißes Wildpferd davon.
»Warum malst du nicht lieber dein eigenes Bild zu Ende?«, fragte Bobby. »Ich verstehe zwar nicht, was es bedeutet, aber ich finde es wunderschön.«
Als Laura von der Leinwand aufschaute, schimmerten Tränen in ihren Augen. »Ganz einfach«, sagte sie. »Die Arbeit an seinem Bild ist die einzige Möglichkeit, mit ihm zusammen zu sein. Auch wenn er nicht bei mir ist.«
11
»Wie lange weißt du es eigentlich schon?«
»Was meinst d u – dass ich schwanger bin?«
»Nein! Wann das Christkind kommt ! – Herrgott,
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