Himmelsdiebe
Mineralwasser und für sich selbst ein Glas Pastis. Bobby hatte gesehen, wie Harry sich von Florence Geld geliehen hatte, um ihn in dieses Café einzuladen. Offenbar setzte er alles daran, ihn zu beeindrucken. Doch der Wirbel, den er veranstaltete, war Bobby nur unangenehm. Er wollte keinen Wirbel. Er wollte mit seinem Vater über die Vergangenheit reden, um irgendwie mit ihm ins Reine zu kommen, bevor er alles hinter sich ließ und nach Amerika fuhr.
»Warum hast du Mathilde und mich damals verlassen«, fragte er, als der Kellner die Bestellung brachte. »Es war der schlimmste Schock meines Lebens.«
»Wozu dieses Pathos? Willst du Schauspieler werden?« Harry goss Wasser in den Pastis und rührte ihn mit dem Löffel um. »Ich habe mich damals gewundert, wie so ein kleiner Hosenscheißer überhaupt so spießig reagieren konnte. Unglaublich, wie du dich angestellt hast.«
»Angestellt?«, wiederholte Bobby. »Du warst mein Ein und Alles. Ich habe dich abgöttisch geliebt. Und plötzlich wolltest du weg. Von einem Tag auf den anderen. Wegen irgendeiner Frau, die ich nicht kannte.«
»Du warst eifersüchtig, das war alles. Aber ich kann dich ja verstehen«, fügte Harry hinzu, als Bobby etwas einwenden wollte. »Ich bin als Kind auch eifersüchtig gewesen. Entsetzlich sogar. Als man mir sagte, meine Mutter hätte im Krankenhaus noch ein zweites Kind zur Welt gebracht, habe ich mir die Seele aus dem Leib geschrien. Am selben Tag war nämlich mein Kakadu gestorben. Er war einfach von der Stange gefallen und lag tot im Käfig. Das war natürlich Zufall. Aber für mich war meine Schwester daran schuld, dieses schlafende, rotgesichtige Wesen, das meine Mutter so zärtlich im Arm hielt.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Bobby entgeistert. »Dass du für mich so was wie ein Kakadu warst?«
»Wenn du wüsstest, wie ich an meinem Kakadu gehangen habe«, murmelte Harry abwesend. Dabei ließ er seinen Blick durch das Café schweifen, als suche er nach etwas, das er irgendwo in dem Lokal verloren hatte. Zwei junge, hübsche Holländerinnen steckten tuschelnd die Köpfe zusammen und schauten in seine Richtung. Plötzlich war Harry wieder hellwach. Er hob sein Glas und prostete ihnen zu.
»Musst du wirklich allen Frauen den Hof machen, die dir über den Weg laufen?«, wollte Bobby wissen.
»Wenn du es selbst mal ausprobieren würdest«, erwiderte Harry, »würdest du mich verstehen. Außerdem, wer behauptet eigentlich, dass ich das tue?« Seine Augen, die eben noch stille Belustigung ausgedrückt hatten, wurden plötzlich stechend hart. »Vielleicht Monsieur Philibert?«
Bobby biss sich auf die Lippen. »Du weißt, dass ich mit Florences Vater gesprochen habe?«
Harry zuckte die Schultern. »Du hast ja keine Ahnung, wie sehr du mir damit geschadet hast«, sagte er. »Sie wollten mich deshalb aus Frankreich ausweisen.«
»Um Gottes willen!« Bobby holte tief Luft. »Du darfst nicht nach Deutschland zurück. Auf gar keinen Fall! Ich war in der Ausstellung Entartete Kunst . Sie tun, als wärst du ein Verbrecher. Darum bin ich ja hier.«
»Was haben die Nazis mit uns beiden zu tun?«, fragte Harry irritiert. »Ich dachte, du bist hier, um dich von mir zu verabschieden.«
»Ja, aber nur, weil ich dein Bild in der Ausstellung gesehen habe«, sagte Bobby. » Die Vogelhändlerin . Du hättest die Besucher erleben sollen. Sie haben ihren nackten Busen angegafft und sich die Mäuler darüber zerrissen, während Hitler aus dem Lautsprecher grölte, um sie aufzuhetzen. Gegen dich und die anderen Künstler der Ausstellung.«
Harry blickte ihn über den Rand seines Glases an. »War das sehr schlimm für dich?«
Bobby schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Ich war plötzlich furchtbar stolz auf dich. So stolz wie noch nie.«
»Du warst stolz auf mich? Wirklich? Wegen einem Bild mit nackten Titten?«
»Zugegeben, der Busen war mir peinlich. Abe r – du hast den Nazi-Schweinen damit Angst gemacht.«
»Das ist ja großartig! Etwas Schöneres kannst du mir gar nicht sagen.« Harry griff nach seiner Hand. »Ach Bobby«, sagte er mit plötzlicher Zerknirschung. »Du hast ja recht. Ich bin ein Rabenvater. Ich bin ausgeflogen, kaum dass du ausgebrütet warst. Aber Köln und Deutschlan d – das war nichts für mich, viel zu eng und zu stickig, und Paris, wohin ich gehörte, wäre für dich nicht der richtige Ort gewesen.« Er trank einen Schluck, dann fügte er hinzu: »Nur eins kann ich immerhin behaupten. Ich habe nie
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