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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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hast mir so sehr gefehl t …«
    Harry fühlte sich wie ein Trinker, den man nach Monaten des Entzugs in einen Weinkeller ließ, in dem sich die Flaschen und Fässer bis zur Decke stapelten. Statt auszuwählen und in kleinen Schlucken zu genießen, ließ er die Korken knallen und schüttete wahllos in sich hinein, was ihm in die Quere kam. Wie ein warmer Blitz schoss die Betäubung ihm ins Gehirn, ohne Umweg über den Magen, um sich vom Kopf aus im ganzen Körper auszubreiten, in jenem selig-süßen Wohlgefühl, das er so dringend benötigte wie die Luft zum Atmen und das er so lange hatte entbehren müssen.
    Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, doch irgendwann war die verfluchte Gier gestillt. Dada hatte seinen Willen bekommen, müde und satt schlummerte er zwischen feucht verschmierten Schenkeln. Ein Gefühl von Dankbarkeit wallte in Harry auf, als er schließlich auf dem Rücken lag und Florence sein Brusthaar kraulte und dabei schnurrte wie eine Katze, während an der Decke die Scheinwerferlichter der Autos draußen vorüberzogen. Die Liebe war eine gefährliche Geschlechtskrankheit, und Dada hatte ihn fast so weit gehabt, dass er die drei Worte sagte, die zu sagen er sich verboten hatte. Aber Florence war sein Remedium concupiscentiae , sein Mittel gegen die Begierde – zumindest für diese eine Nacht.
    »Als du neulich vom Pont-Neuf gesprungen bist«, sagte er irgendwann, »und mit deinen aufgebauschten Kleidern im Wasser triebst, da habe ich mir für einen Moment wirklich Sorgen gemacht.«
    »Um mich? Wirklich?«, fragte sie. »Das hast du? Ach, du weißt ja nicht, wie glücklich du mich damit machst.«
    Harry spürte, wie sie in der Dunkelheit zu ihm aufschaute. Doch statt ihr den Kuss zu geben, auf den sie hoffte, tastete er nach seiner Zigarettenpackung. Was für eine Erektion war das eben gewesen? Ihm fiel kein passendes Wort dafür ein. Entlastungsfick vielleicht? Aber vielleicht war das alles ja gar keine Frage der Wörter. Vielleicht war es eine Frage der Liebe. Vielleicht gab es die Liebe ja gar nicht. Oder wenn es sie gab, musste man sie vielleicht neu erfinden. Vielleicht, vielleicht, vielleicht…
    »Du auch?«, fragte er, als er sich eine Gauloise ansteckte.
    »Nein, lieber nicht«, antwortete Florence.
    »Warum nicht? Du hast doch früher immer danach geraucht?«
    Sie richtete sich an seiner Seite auf und streichelte sein Gesicht. Als er im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers ihre glücksbeseelten Augen sah, überkam ihn eine fürchterliche Ahnung.
    »Das ist es ja, weshalb ich unbedingt mit dir reden wollte. Begreifst du denn immer noch nicht?«, flüsterte sie, als er in stummem Entsetzen ihren Blick erwiderte. »Ich bekomme ein Kind von dir!«
    10
    Es war am frühen Vormittag, als Bobby das Treppenhaus zur Wohnung seines Vaters in der Rue Jacob hinaufstieg. Seine Mutter Mathilde hatte ihm die Adresse gegeben.
    Wann hatte er Harry zum letzten Mal gesehen?
    Bobby wusste es nicht mehr genau. Es war auf jeden Fall Sommer gewesen, als er seinen Vater besucht hatt e – ein strahlend schöner Sommer in Paris. In einem todschicken Cabriolet, das Harry sich von einem Freund geliehen hatte, waren sie durch die Stadt gebraust, über die Place de la Concorde und die Champs-Élysées und dann weiter durch den Bois de Boulogne, an der Seine entlang bis hinaus nach Neuilly, und als sie in der Nacht zurückgekehrt waren, hatten riesige Scheinwerfer den Triumphbogen in die Farben der Trikolore getauch t – ein blau-weiß-rotes Lichtermeer. Florence hatte Münzen aus dem fahrenden Auto geworfen wie eine Karnevalsprinzessin Kamellen, und als die Passanten sich bückten, um das Geld aufzusammeln, hatte Harry gelacht und erklärt, wie sehr er alle Menschen verachte, die vor dem Mammon im Staube kröchen. Bobby war entsetzt über die Verschwendung gewese n – seine Mutter, die erst wenige Monate zuvor nach Paris geflohen war, um in Deutschland nicht als Jüdin verhaftet zu werden, hatte ihre goldene Uhr verkaufen müssen, damit sie ihm das Geld für eine Zugfahrkarte hatte schicken können. Damals hatte Bobby sich geschworen, seinen Vater nie wieder zu besuchen, und hätte er nicht die Ausstellung gesehen, in dem die Nazis Harry Winter als abschreckendes Beispiel entarteter Kunst vorführten, wäre er von Köln aus direkt nach New York aufgebrochen, ohne den Umweg über Paris. Doch ausgerechnet die Nazis hatten in ihm den Wunsch geweckt, sich mit seinem Vater zu versöhnen.
    Ob Harry wohl noch mit

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