Himmelsdiebe
mein katholisches Herz im Leibe!«
Laura warf den Kopf in den Nacken und stapfte aus dem Haus. Sie hatte ihren Schal wie einen Schleier um das Haar gebunden, sodass keine einzige Strähne darunter zum Vorschein kam, und mit einem Stück Bindfaden das Kruzifix aus ihrer Kammer an ihrer Halskette befestigt. Jetzt prangte es wie ein Amulett der Unberührbarkeit auf ihrer Mantelbrus t – eine unübersehbare Reminiszenz an die vergangene Nacht, die keine gewesen war.
»Ich hoffte, damit Ihren schlechten Geschmack zu treffen«, sagte sie. »Umso schöner, wenn mir das gelungen ist. Aber warum jagen Sie mich zu dieser nachtschlafenden Zeit aus dem Bett? Wollen Sie Beeren sammeln fürs Frühstück? Oder vielleicht Kühe melken?«
»Psss t … Kommen Sie einfach mit!«
Ohne sie um Erlaubnis zu fragen, nahm er ihre Hand und zog sie mit sich fort, in Richtung zweier keltischer Megalithen, die sich wie ein gigantisches steinernes Tor über der Steilküste erhoben. Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, folgte sie ihm. Warum zum Teufel tat sie das?, dachte sie, als sie an seiner Hand durch das Tor auf die andere Seite trat. Der Mistkerl hatte sie die ganze Nacht vergeblich warten lassen und hätte eine Bestrafung verdient. Mehr über ihre eigenen Gedanken stolpernd als über die Wurzeln und Steine auf dem schmalen Trampelpfad, stieg sie mit ihm die Klippen hinunter zum Strand. Obwohl sie ziemlich wütend war, musste sie grinsen. Er in seinem schwarzen Cape und sie mit ihrem weißen Schleie r – sie sahen wirklich aus wie Pater und Nonne.
»Was soll ich hier?«, fragte sie, als er sie auf halber Höhe des Hanges aufforderte, auf einem Felsvorsprung Platz zu nehmen.
»Nichts«, sagte er. »Oder genauer: Alles! Sie sollen sehen .«
Frierend in ihrem dünnen Mantel, unter dem sie nur ein bisschen Unterwäsche trug, setzte Laura sich an seine Seite. Nebelfetzen hingen zwischen den Dünen und über dem Fjord, den die bewaldeten Felsen wie zwei riesige Arme umschlossen. In der Ferne glitten schemenhafte Fischerboote über das Wasser, die vom nächtlichen Fang heimkehrten, begleitet vom einsamen Kreischen der Seevögel. Auf einmal, leise, ganz leise, glaubte Laura ein Flüstern zu hören. Was war das? Land und Meer verschmolzen in den grauen Schwaden der Morgendämmerung zu einer Traumlandschaft, in der die Seelen der Dinge zu sprechen anfingen, mit seiner, Harry Winters, Stimme.
»Die Natur ist ein Tempel, wo jede Säule lebt und zu uns redet mit geheimnisvollen Zunge n …«
Während er die Worte murmelte wie ein Priester, verwandelte sich vor ihren Augen die Welt in ein magisches Reich, voller Geister und Fabelwesen. Noch nie gesehene Formen und Figuren tauchten aus dem Zwielicht auf, Schatten und Schimären, wimmelnde Rieseninsekten, wuchernde Farne und Blätter, tanzende Kobolde und Feen, die sich wieder und wieder aus sich selbst gebaren, unendlich wie das Licht und die Dunkelheit. Laura wagte kaum zu atmen. Alles sah sie auf einmal vor sich, das Sichtbare und das Unsichtbare, in einem einzigen, allumfassenden Blick: Tod und Leben, Vergehen und Entstehen, Fäulnis und Keimen. Sie fühlte sich wie Alice im Wunderland. Ja, Harry Winter war der Große Zauberer, und seine Kunst war das Sehen. Vor ihren Augen verwandelte er alles, was war. Jedes Ding bekam eine neue Gestalt, eine nie geahnte Bedeutung. Es war, als würde er für sie die Welt aufs Neue erschaffen.
»Von wem haben Sie gelernt, so zu zaubern?«
»Von meinem Vater«, erwiderte Harry. »Er war Taubstummenlehre r – und ein begeisterter Hobbymaler. Jede freie Minute verbrachte er mit der Staffelei im Freien. Doch alles, was er malte, musste streng nach der Natur sein. Die Natur war für ihn alles, und Kunst galt nur, wenn sie die Natur wiedergab. Bis er eines Tages, ich war noch keine zehn Jahre alt, eine Landschaft malte, in die der Ast eines Baumes hineinragte und so den ganzen Anblick verdarb. Da geschah das Ungeheuerliche! Zum ersten Mal im Leben verriet mein Vater die Natur, indem er den Ast in dem Bild unterschlug. Aber dieser Verrat quälte ihn so sehr, dass er die ganze Nacht kein Auge zutat, und als er am nächsten Morgen immer noch darunter litt, hatte ich eine Idee. Ich ging in den Keller un d …«
»Nicht sagen!«, fiel Laura ihm ins Wort. »Ich weiß, was Sie getan haben!«
»Da bin ich aber gespannt!?«
»Sie haben eine Säge geholt und den Ast abgeschnitten. Damit die Natur wieder mit dem Bild übereinstimmte.«
Harry drehte sich zu ihr
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