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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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um und sah sie mit seinen hellen blauen Augen an. Doch diesmal lag kein Spott in seinem Blick, nur grenzenloses Staunen.
    »Woher wissen Sie das?«, fragte er.
    »Das war nicht schwer zu erraten«, behauptete sie. »Eine andere Möglichkeit gab’s doch gar nicht.«
    »Sie haben recht«, erwiderte Harry. »Eine andere Möglichkeit gab es nicht.« Immer noch hielt er die sezierenden Augen auf sie gerichtet. »Das war mein Urerlebnis. Damals habe ich eines für immer begriffen.«
    »Nämlich?«
    »Dass die Vorstellungskraft mächtiger ist als jede Wirklichkeit.«
    Laura schaute ihn an wie eine Erscheinung. »Was sagen Sie da?«, flüsterte sie.
    Der Gedanke verwirrte sie so sehr, als wären eins und eins plötzlich nicht mehr zwei, sondern drei oder zehn oder fünftausendeinhundertsiebenundzwanzig. Dabei brachte er doch nur eine Wahrheit zum Ausdruck, die, einmal ausgesprochen, niemand leugnen konnte, der seine fünf bis sechs Sinne beisammen hatte.
    »Vernünftige Menschen«, fuhr Harry fort, »passen ihre Vorstellung der Wirklichkeit an, unvernünftige Menschen hingegen versuchen, die Wirklichkeit ihren Vorstellungen anzupassen. Weshalb wirkliche Kunst, ob im Leben oder in der Malerei, immer von unvernünftigen Menschen stammt.«
    Noch während er sprach, erfüllte Laura die Ahnung einer bislang ungeahnten Macht. Nichts war unmöglich, wenn das Unvernünftige das wirklich Vernünftige war! Eine fast unsinnige Hoffnung stieg in ihr auf, und schneller, als sie denken konnte, fragte sie:
    »Was meinen Si e – können Sie mir beibringen, auch so zu sehen ?«
    Harry wiegte den Kopf. »Haben Sie nicht selber gesagt, Sie sind unerziehbar? Keine Angst«, fügte er rasch hinzu, als er ihr Gesicht sah. »Unerziehbare Schüler sind die einzigen, denen man was beibringen kann. Aber vorher muss ich eines wissen. Warum malen Sie?«
    Laura schaute wieder aufs Meer. Am Horizont lösten sich die ersten Nebelfelder auf, und ein zartrosa Schein kündete vom Aufgang der Sonne. Angesichts dieses Schauspiels, das sich seit Millionen von Jahren täglich wiederholte und doch großartiger und eindrucksvoller war als jedes Schauspiel, das je ein Mensch auf einer Bühne oder Leinwand inszeniert hatte, fühlte Laura sich plötzlich ganz klein.
    »Weiß ein Dieb«, fragte sie leise, »der im Himmel auf Raubzug geht, mit welcher Beute er zur Erde zurückkommt?«
    Aus Angst, etwas Dummes gesagt zu haben, wich sie seinem Blick aus. Doch sie glaubte zu spüren, dass Harry neben ihr nickte.
    »Ein Künstler darf nur wissen, was er nicht will«, sagte er. »Wenn er weiß, was er sucht, ist er kein Künstler.«
    »Ich will aber etwas finden !«, rief sie und schaute ihn an.
    Harry erwiderte ihren Blick. Er schien von ihrer Antwort maßlos enttäuscht.
    »Un d – was wollen Sie finden ?«
    »Mich selbst!«, rief Laura. »Die Gesichter meiner Seele! Die Gesichter, die ich noch nicht kenne. Die Gesichter, die man mir verboten hat. Weil ich es nicht länger aushalte in dem einen engen Leben!«
    Eine Weile sagte er gar nichts. Sein Schweigen war so intensiv, dass Laura schlucken musste. Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie unter ihrem Mantel fast nackt war, und sie begriff, warum er sein seltsames Gelübde geleistet hatte: Er wollte damit die Realität korrigieren, wie durch das Sehe n … Im selben Moment nahm Harry, ohne die Augen von ihr zu lassen, ihr Gesicht zwischen seine Hände, der Schleier rutschte von ihrem Haar, und als wäre es die einzig vernünftige Antwort, die es auf ihre stumme Frage gab, küsste er sie.
    Als Laura die Augen wieder aufschlug, glaubte sie, in seinem blauen Blick zu schwimmen. Ein erregender Gedanke blitzte in ihr auf. War er der Einzige, der zaubern konnte?
    Als wäre sie der Leibhaftige, stieß Harry sie zurück. Er sprang auf und machte mit den Fingern ein Kreuzzeichen in ihre Richtung.
    » Vade retro, satana! «
    7
    Lachend kletterten sie die Klippe hinauf. Laura freute sich auf das Frühstück, mit frischem Brot und dampfendem Kaffee. Ihr Magen war ein einziges großes Loch. Komisch. Hatte man solchen Hunger nicht erst nach einer Liebesnacht? So stand es jedenfalls in den Romanen.
    »Vielleicht werde ich ein paar Tage länger bleiben«, sagte Harry, als sie am Felsrand das steinerne Tor erreichten, das zurück zum Gasthof führte. Die Nebelschwaden hatten sich inzwischen aufgelöst, der Fjord lag im hellen Sonnenschein zu ihren Füßen, und das Wasser in der Bucht glitzerte, als würden sich darin Abermillionen

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