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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Gegenteil. Ich glaube nicht an solchen Hokuspokus.«
    Das brachte ihn zum Lachen. »Wenn man zusammenfasst, was du in den letzten Tagen Außergewöhnliches erlebt hast, ist das eine Aussage von überwältigender Naivität.« Erst küsste er meine Nasenspitze, dann biss er sanft hinein. »Leider glaube ich sehr wohl daran. Ich kann es nicht ausschließen. Es hat doch schon funktioniert, oder? Ich berühre dich und du kannst nicht widerstehen, obwohl du es willst.«
    Ich erinnerte mich an unsere ersten Begegnungen. An meine Faszination, als er am Brunnen gesessen und dem Stein gelauscht hatte. An meine Träume von ihm, die rückblickend Sinn ergaben. Sowie an unsere Flucht durch den U-Bahn-Tunnel, als ich mein Leben in seine Hände gelegt hatte. Es lag eine schaurige Wahrheit in dem, was Marlon sagte. Ich würde das überdenken müssen, sobald ich nicht mehr so unerträglich müde war.
    Â»Wir sollten schlafen, Magpie.«
    Â»Findest du das nicht ungerecht? Einen Preis zu bezahlen für etwas, das du gar nicht haben willst?«
    Â»Ungerecht ist nicht der richtige Ausdruck, aber mir fällt kein passender ein, den ich in den Mund nehmen möchte.«
    Ich musste gähnen und ließ die Augen zufallen. »Erinnert mich an die GEZ.«
    In dieser Nacht träumte ich von menschlich aussehenden Raben in schwarzen Anzügen, die meinen Fernseher wegtrugen, in dessen Inneren Marlon saß und gegen die Scheibe hämmerte.
    Er kam da nicht raus.

 

    Wie man durch Steine geht
    Es gibt vermutlich nur einen Menschen auf der Welt, der es schafft, jemanden durch einen Blick zu wecken. Ich spürte durch meine geschlossenen Lider, dass Marlon mich ansah. Das Gefühl erreichte mich selbst im Schlaf. Nur seine Blicke verursachten dieses sehnsüchtige Ziehen, als würde er mit ihnen ein Vakuum in die Luft brennen, das mich ansog.
    Â»Was tust du?«, murmelte ich, ohne die Augen zu öffnen. War es überhaupt schon Morgen?
    Â»Ich denke nach.« Er klang ausgeschlafen und beinahe vergnügt.
    Ich spürte, wie er mit meinen Haaren spielte, und brummte genüsslich. »Worüber?«
    Â»Du hast die ganze Nacht in meinem Arm gelegen und ich habe mich gewundert, dass ich trotzdem schlafen konnte, denn normalerweise sieht mein Bett morgens aus wie ein Schlachtfeld, weil ich mich immer so herumwälze. Da kam mir der Gedanke, dass du etwas an dir haben musst, was mich ruhiger macht, und nun grüble ich, was das sein könnte.«
    Er musste wirklich guter Laune sein, denn er rasselte die Worte nur so runter. Ich hatte ihn selten so frei von der Leber weg sprechen hören. Besser, ich öffnete die Augen, um nachzusehen, ob man ihn in der Nacht ausgetauscht hatte.
    Nein, abgesehen von den zerzausten Haaren sah er aus wie immer. Beneidenswert, denn es war wirklich noch ganz früh. Das Tageslicht lugte scheu, blass und milchig durchs Fenster.
    Â»Vielleicht, weil wir uns ziemlich ähnlich sind«, bemerkte ich und sah zu dem großen aufgesprayten Drachenherz über mir.
    Â»So, sind wir? Was haben wir denn bitte schön gemeinsam?«
    Â»Keine Mutter mehr«, entfuhr es mir. Ich biss mir auf die Zunge. Verdammt, warum hatte ich das gesagt? »Entschuldige. Das ist bestimmt ein blöder Vergleich. Es ist nur so, dass dieser Raum mich an meine Mutter erinnert. Sie hat ein Drachentattoo um den Knöchel.« Von diesem kleinen Drachen hatte ich geträumt, bevor Marlon mich weckte. Er streichelte mein Gesicht, strich mit zwei Fingern über meine Wangen, als zöge er die Wege von Tränen nach, die zu weinen ich mir nie erlaubt hatte.
    Â»Entschuldige dich nicht, Noa, bitte nicht. Rede mit mir, okay? Jetzt, denn wir haben nicht viel Zeit.«
    Es frustrierte mich, die Leichtigkeit dieses frühen Morgens zerstört zu haben. Doch als ich begann, von meinem Babybruder, seinem Tod und dem Verlust meiner Mutter zu sprechen, wurde mir ein wenig leichter ums Herz. Ich redete und redete und redete. War verwundert, wie viel es zu erzählen gab, angefangen von der Weichheit von Joels Haut, über die Lieder, die Sybille ihm vorgesungen hatte, bis hin zu dem süßen Geruch, den er ausatmete, nachdem er gestillt worden war. Ich erzählte Marlon, wie der Polizist, der nach Joels Tod gekommen war, mich angesehen hatte. Ich erinnerte mich genau, was er zu Sybille gesagt hatte: »Manchmal werden sie eifersüchtig.« Und ich wusste

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