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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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sie kaum, sie schürzte bloß wissend die Lippen, als sie sah, dass ich eins von Marlons kurzärmligen Hemden trug.
    Â»Du scheinst ja jede Menge Zeit zu haben, Marlon«, säuselte sie in einem unangenehm zuckersüßen Tonfall. »An deiner Stelle hätte ich Besseres zu tun, als einen ganzen Tag mit sinnloser Flirterei zu verschwenden.«
    Marlon ignorierte sie.
    Â»Warum suchst du deinen blöden Treffpunkt nicht selbst und lässt ihn in Ruhe«, knurrte ich.
    Emma lachte herablassend und sah weiter Marlon an. »Du kommst schon noch zur Vernunft. Wenn du dich erst verwandelt hast, wirst du an all deine Sorgen hier nicht mehr denken.« Sie wandte sich ab und schlenderte davon.
    Marlon stellte meine Tasse so ruppig vor mir ab, dass der Kaffee überschwappte. »Emma kennt ihren Treffpunkt schon. Die Schwärme treffen sich an unterschiedlichen Orten, sie gehört zu einem anderen als wir und war bei der Suche wesentlich erfolgreicher. Vielleicht weil sie sich so sehr darauf freut. Sie erwartet die Verwandlung, es macht sie wütend, dass Corbin und ich das nicht auch so sehen. In ihren Augen verraten wir unsere Art, wenn wir nicht bereit sind, uns hinzugeben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe lange versucht, es wie sie zu sehen. Aber es ist mir nie gelungen.«
    Ich stand auf, umarmte ihn von hinten, während er eine Scheibe Brot mit dem Messer misshandelte, statt sie mit Butter zu bestreichen. »Dann wird es dir auch gelingen, dich zu erinnern«, sagte ich, den Kopf an seinen Rücken gelehnt. »Du wirst dich wiederfinden, ich weiß es.«
    Wir erreichten die Innenstadt und setzten uns zunächst unauffällig auf den Rand des Brunnens. Der steinerne Löwe warf seinen Schatten über uns. Wir beobachteten die Leute, achteten auf jedes Anzeichen einer Gefahr.
    Â»Geht tagsüber hin«, hatte Corbin uns geraten. »Dann fallt ihr weniger auf. Man wird zwar misstrauisch angesehen, wenn man am helllichten Tag Statuen befingert, aber das Schlimmste, woran die Menschen denken, ist Vandalismus, daher behalten sie dich bloß im Auge. Kommst du nachts, erwarten sie das wahre Böse und rufen gleich die Polizei.«
    Marlon war nicht begeistert gewesen, als ich ihm erklärt hatte, mit ihm zu kommen, aber da er selbst behauptete, es sei nicht gefährlich, konnte er es mir schlecht ausreden.
    Inmitten der Stadt, wo man im Sommer allenfalls riskierte, in einen Hundehaufen zu treten oder von einem drängelnden Kind mit Eiscreme beschmiert zu werden, fühlte ich mich sicher. Der Tag war sonnig, nur schmale weiße Wolkenstreifen trieben langsam über den hellblauen Himmel. Ein angenehmer Wind hielt die Wärme davon ab, zur Hitze zu werden. Die Menschen strömten in Scharen durch die Straßen und wirkten für die Verhältnisse der Stadt gut gelaunt, beinahe vergnügt. Aber klar, es war ja auch Sommerschlussverkauf.
    Marlon hatte die linke Hand auf mein Knie gelegt, vermutlich weil wir dadurch unauffälliger wirkten. Mit der rechten strich er das Löwenbein entlang nach oben. Seine Konzentration war so deutlich spürbar, dass man sie in Flaschen abfüllen und an ADHS-Patienten hätte verkaufen können. Ich spürte seine Finger auf meinem Bein beben – er lauschte. Ich hörte nur das Schwatzen der Leute, die an den Tischen des Eiscafés saßen, die Schritte der Passanten und harmlose Popmusik, die aus einem der nahen Modegeschäfte dudelte. Ein paar Tauben tummelten sich um den Brunnen und pickten nach Essbarem. Um Marlon und mich machten sie einen großen Bogen.
    Â»Hörst du etwas?«, fragte ich nach einer Weile ungeduldig.
    Zu meinem Erstaunen nickte er. Er sprang auf, begab sich auf die andere Seite des Brunnens und fuhr den Rücken des Löwen mit den Händen nach. Die Leute um uns herum begannen ihn anzustarren. Ich ließ die Beine baumeln, lächelte und versuchte, Harmlosigkeit zu demonstrieren. Marlon ließ sich nicht irritieren. Er umkreiste den Löwen, berührte ihn an mehreren Stellen, schüttelte etliche Male den Kopf und ließ sich schließlich mit einem Seufzen neben mir nieder.
    Â»Da ist etwas. Eindeutig. Aber ich kann nicht ausmachen, wo genau.«
    Â»Vielleicht ist die Stimme diesmal einfach zu tief eingesungen.«
    Â»Zu tief«, wiederholte er fasziniert, drehte sich um und sah in das trübe Wasser, das im Brunnen stand. Müll und zahllose Zigarettenkippen

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