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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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sollte er sonst sagen? Im Gegensatz zu Papa sah ich, wie Marlons Finger den Takt vorgaben, zu dem er sprach. Er war nervös. Er wollte meinem Vater gefallen. Auf irgendeine Art berührte mich das.
    Marlon lenkte das Gespräch geschickt von seinen Zukunftsplänen weg, indem er Papas CD-Sammlung ansprach. Eine Viertelstunde lang sprachen sie über Musik, Marlon gespielt, aber glaubwürdig gelassen, mein Vater unvertraut wortkarg. Dann sah Papa auf die Uhr und erklärte, dass er für den Abend noch etwas vorhatte. Kino und essen mit Corinna.
    Marlon schüttelte ihm förmlich die Hand. »Es freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Herr Grau.«
    Papa warf ihm ein Lächeln hin. Genauer gesagt, schmiss er es ihm vor die Füße. »Hoffentlich bleibt das so, mein Freund.«
    Auweh, das war deutlich. Dass er Marlon das Du noch nicht angeboten hatte, gefiel mir ebenso wenig.
    Marlon und ich gingen zu meinem Zimmer. Vor der Tür blieb ich stehen. »Geh schon mal rein«, sagte ich lauter als nötig. »Ich hole uns noch etwas zu trinken.«
    Mein Plan ging auf, Papa folgte mir in die Küche.
    Â»Der?«, fragte er gedämpft, zeigte aber unverhüllt, dass er mich angebrüllt hätte, wären wir allein gewesen. »Ich dachte, es ging um eine Übernachtung bei Dominic.«
    Ich lehnte mich an die Arbeitsplatte und untersuchte meinen Nagellack auf Risse. »Habe ich das gesagt?«
    Â»Nein, aber du hast auch nicht –«
    Â»Du magst ihn nicht«, warf ich ihm unvermittelt vor.
    Er breitete die Arme aus. »Das hat nichts mit Mögen zu tun. Er gefällt mir bloß nicht. Das ist etwas anderes.«
    Ich verdrehte die Augen. »Er soll mir gefallen, nicht dir. Und das tut er. Sehr.«
    Â»Noa, versteh mich nicht falsch«, versuchte mein Vater es versöhnlich. »Aber der Junge ist doch viel zu routiniert für dich. Er benimmt sich, als würde er jede Woche in einem anderen Wohnzimmer sitzen und besorgten Vätern Honig ums Maul schmieren. Der ist nicht echt, glaub mir das. Der spielt dir etwas vor.«
    Ich unterdrückte ein Grinsen. Papa hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Marlon spielte tatsächlich etwas vor. Allerdings ihm. All die gelassene Ruhe war nur Show. Die Angst dahinter sah nur ich.
    Â»Dominic«, sagte Papa und verstellte mir den Weg zum Schrank, aus dem ich Gläser nehmen wollte, »wäre mir lieber gewesen.«
    Ich grinste müde. »Dominic ist mein Kumpel, ich habe ihn wirklich gerne. Aber mehr nicht. Dominic hat vor allem und jedem Angst.«
    Â»Kann sein, aber dieser junge Mann da –«
    Â»Er heißt Marlon!«, erwiderte ich gereizt.
    Â»Meinetwegen. Dieser Marlon, der hat vor nichts Angst. Der ist nichts für dich, der hat schon zu viel gesehen.«
    Oh, mein Vater hätte mich außer Landes gebracht und in einem katholischen Kloster versteckt, wenn er wüsste, wie recht er hatte.
    Â»Ich hab’s im Griff, Papa. Glaub mir, ich weiß, worauf ich mich einlasse. Ich kenne Marlon.«
    Papa schwieg mir penetrant ins Gesicht.
    Â»Vergnüg dich mit dem Jungen«, meinte er schließlich achselzuckend und tat so, als wäre er der lockere, für alles Verständnis zeigende Vater, der er gern wäre. »Für einen anderen Tipp ist es ja ohnehin zu spät. Aber pass auf dich auf. Denk an«, er stockte und errötete, »na, an den Verhütungskram eben.«
    Ich musste lächeln und hatte Papa allein für seine Befangenheit bei gewissen Themen schrecklich lieb. Leider war und blieb er ein Trampeltier und zerstörte diese Zuneigung mit dem einzigen Satz, den ich ihm nicht verzeihen konnte.
    Â»Lass dir nicht wehtun, hast du mich verstanden?«
    Tja, so blöd das für mich war, aber für diesen Rat war es zu spät. Ich grinste auf vielsagend anzügliche Weise und verließ die Küche, ließ ihn im Glauben, dass zwischen Marlon und mir schon längst viel mehr passiert war.
    Es war fast Mitternacht, als wir erneut zum Brunnen kamen. Keine Menschenseele kreuzte unseren Weg, dafür jede Menge Schatten. Marlon war ungern bei Nacht unterwegs und ich begriff, warum. Inmitten von Einsamkeit saß man auf einem Präsentierteller für jene, die nach etwas Lebendigem suchten. Ich fröstelte unter meiner Jeansjacke und fingerte nervös an den Trägern von Marlons Rucksack herum. Darin befanden sich Kleidung zum Wechseln und ein Handtuch. Ich war

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