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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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nicht zimperlich, aber diesmal bedauerte ich es, kein Desinfektionsspray gefunden zu haben.
    Â»Schau mal«, unterbrach er meine Gedanken und deutete in das ölig schwarze Brunnenwasser.
    Er hatte recht behalten: Gesäumt von der ovalen Mauer, sah man die Silhouette des Löwenkopfes, der von einer gelblichen Lampe beleuchtet wurde. Der Anblick war so schaurig, dass sich jedes Härchen an meinem Körper einzeln aufrichtete, und zwar so stark, als wollten sie sich aus der Haut losreißen und das Weite suchen.
    Marlon zog sich ungerührt Schuhe, Strümpfe und die Jeans aus. Er knöpfte sein Hemd auf, ließ es von den Schultern rutschen und reichte es mir. Dann setzte er sich auf den Brunnenrand, schwang die Beine darüber und atmete tief ein. Ich konnte den Blick nicht von seinem Oberkörper abwenden, betrachtete das Spiel seiner Muskeln; seine Bauchdecke, die sich hob und senkte; das Pflaster auf seiner Schulter, das sich an den Rändern wellte. Ich hatte viel zu viel Angst, um romantische Gefühle zu empfinden, aber es war auch nicht nur Angst, was mir im Magen kribbelte. Marlon mochte kein Traumtyp im klassischen Sinne sein wie Lukas, aber auf eine ihm ureigene Art war er bedrückend schön. Besonders bei Nacht. Und – der Gedankenblitz verstörte mich – ich wollte ihn nicht verlieren. Er sollte dort nicht reingehen!
    Er zog den Bauch ein, als seine Füße ins Wasser eintauchten. »Es ist viel zu kalt«, sagte er irritiert. Dennoch ließ er sich hineinrutschen und gab nur kleine Laute des Unbehagens von sich. Das Wasser war so schwarz wie seine Augen und reichte ihm bis zur Brust. So tief hatte ich es gar nicht in Erinnerung.
    Â»Sag schon, ist da was?« Die Ungeduld kribbelte in meinem Körper. Er sollte bitte schön sofort erfahren, was er wissen musste, und schnell wieder herauskommen. Mir war so schrecklich bange zumute. Ich rieb mir über die Arme, aber obwohl die Nacht lau war, fraß sich grässliche Kälte unter meine Haut.
    Â»Ich weiß nicht recht. Noa? Ist alles in Ordnung?« Die Frage war nicht auf mich bezogen. Er brauchte meine Einschätzung, wollte wissen, ob ich etwas spürte.
    Ich zuckte hektisch mit den Schultern, warf den Kopf herum, sah jedoch nichts und niemanden. »Beeil dich einfach!«
    Marlon tastete unter der Wasseroberfläche die Innenseite der Brunnenmauer ab, arbeitete sich langsam zum Boden vor und beugte sich dabei immer weiter ins Wasser. Ich kämpfte den Ekel nieder, als es ihm bis ans Kinn schwappte. Er sog kurz und heftig Luft durch die Nase ein und sah zu mir auf. Erschrecken stand in seinem Blick.
    Â»Was ist, hast du –?« Meine Frage versoff in einem spitzen Schrei, als er plötzlich untertauchte. Ich presste mir beide Hände vor den Mund, zwang mich zur Ruhe. Das Herz prügelte gegen meine Rippen, der Schreck durchfuhr mich so eisig, dass ich nicht einmal mehr zittern konnte. Er war weg! Marlon war weg!
    Ich versuchte mir einzureden, dass er tauchte – aber kein Mensch tauchte mit offenen Augen und offenem Mund in eine derartige Brühe ab. Nicht absichtlich! Und ich sah nicht einmal Luftblasen. Das Wasser lag still da wie eine Onyxscheibe.
    Ich warf mich bäuchlings auf den Brunnenrand und durchpflügte die Brühe mit beiden Händen. Der raue Stein kratzte mir die Haut am Bauch auf. Ich rutschte weiter vor, um weiter in den Brunnen langen zu können. Nichts!
    Â»Marlon!«, wimmerte ich, mir bewusst, wie sinnlos das war.
    Aber – guter Gott! – er konnte doch nicht einfach verschwunden sein! Das war ein Zierbrunnen, es gab nur schmale Rohre, durch die das Wasser ein- und ablaufen konnte. Ich hatte das Becken im leeren Zustand gesehen – es gab da unten keinen Ausweg. Ich fand nur eine Erklärung: Marlon musste am Grund des Brunnens liegen. Womöglich bewusstlos. Aber dazu war er viel zu schnell abgetaucht, fast als risse ihn etwas in die Tiefe. Und trieb man nicht nach oben, wenn man bewusstlos war? Doch eine andere Möglichkeit gab es nicht.
    Ich zögerte nicht länger und ließ mich ins Wasser rutschen. Eisig tränkte es meine Kleidung. Ich tastete mich vorsichtig mit den Füßen über den Grund. Spürte, wie mir heiße Tränen über das Gesicht liefen. Denn da war … überhaupt nichts.
    Ich tauchte. Tauchte mit zusammengekniffenen Augen und dem Geschmack von Galle in Mund und Nase bis nach unten. Das Wasser war

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