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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Leaving on a Jet Plane .
    Wir saßen dort, bis das Feuer heruntergebrannt war und sich die Sommerwärme auf unserer erhitzten Haut kühl anfühlte. Nichts als Asche und einzelne, noch glimmende Scheite waren übrig geblieben.
    Emma sah mich lange an und seufzte. »Tu mir einen Gefallen, Noa. Bring ihn irgendwohin, wo er sich einen Tag ausruhen kann.« Sie redete von Marlon, als sei er gar nicht da. Als könnte er uns nicht hören, nur weil er nicht mehr sprach. Dann stand sie auf, ging um ihn herum, hockte sich vor ihn und legte ihre Hände auf seine Schulter. »Es wird Zeit für mich. Ich komme allein nach Hause, mach dir keine Gedanken. Aber morgen werde ich nicht mehr da sein.«
    Ich schnappte erschrocken nach Luft. »Du musst schon gehen?«
    Â»Ich habe einen weiten Weg.« Sie lächelte hoffnungsvoll, aber da war auch Angst in ihren Augen.
    Â»Viel Glück, Emma.« Ich hätte geweint, wenn meine Augen nicht so wund und leer geweint gewesen wären.
    Â»Euch auch. Ich würde gern sagen, dass ich euch nie vergesse, aber …«
    Marlon zog sie an sich und umarmte sie. Dann stand Emma auf, drehte sich wie eine Tänzerin um und verließ uns auf dem Weg, den wir gekommen waren. Sie blickte kein einziges Mal zurück, vielleicht, weil ihr dann die Kraft zum Weitergehen abhandengekommen wäre. Wir sahen ihr nach, bis das Rascheln ihrer Schritte verstummte und es, vom Rauschen des Kanals abgesehen, ruhig um uns herum wurde. Stille, die sich wie eine eiserne Klammer um mein Herz schloss. Sie wisperte etwas von Einsamkeit.
    Marlon war jetzt ganz allein.
    Â»Können wir gehen, Noa?«
    Ich musste tief durchatmen, um vor Erleichterung nicht übertrieben heftig zu reagieren. Seine Stimme klang belegt, tiefer und samtiger als gewöhnlich. Älter. Nein, gealtert. Ein wenig fremd, aber er redete.
    Â»Wir gehen zu mir«, entschied ich.
    Er erhob sich bedächtig, als schmerzte jeder seiner Knochen, und half mir auf. Dann trat er noch einmal an die Feuerstelle, griff in die Asche und streute eine Handvoll davon in den Kanal. Er murmelte etwas, das ich nicht verstand. Es endete mit: »So oder so, Corbin.«
    Dann nahm er meine Hand ungeachtet dessen, dass er mich mit Asche beschmierte – es machte mir sehr viel weniger aus, als ich erwartet hatte –, und wir gingen.
    Die Fahrt zu mir nach Hause verlief anders als gedacht. Zum einen, weil Marlon einen Umweg machte von gefühlten hundert Kilometern, um auf einer Landstraße das Gaspedal voll durchzutreten und den Audi auf 180   Sachen zu bringen. Erlaubt war exakt die Hälfte. Zum anderen – und das war der Grund, warum es keinen Sinn hatte, ihn zu bitten, langsamer zu fahren –, weil er das Radio bis zum Anschlag aufdrehte. Die Lautstärke machte mich taub, das Dröhnen der Bässe vibrierte in jedem meiner Knochen. Als er wieder in die Stadt einbog und die Musik ausschaltete, wirkte er gelöster.
    Â»Normalerweise trinkt man auf jemanden, der gestorben ist«, sagte er – seine Stimme klang noch immer fremd. »Aber ich habe Corbins Lieblingswhisky nicht mitgenommen.« Na, Gott sei Dank! »Sieh das Tempo als Gruß an meinen Bruder. Er fühlte sich erst ab 150   Sachen wohl, und solange man noch sein eigenes Wort verstand, war die Musik zu leise. Er machte solche Fahrten immer, wenn er nicht mehr weiterwusste.« Marlon lächelte schief. »Danach wusste er zwar auch nicht weiter, aber es störte ihn weniger.«
    Â»Hilft es?«, fragte ich. »Geht es dir besser?«
    Â»Nee.« Das halbe Lächeln blieb bestehen. »Eher schlechter. Aber –«
    Â»Es fühlt sich weniger taub an«, nahm ich ihm die Worte ab. »Es tut weh, wird wirklich. Echt.«
    Â»Ja. Und man kann damit besser leben als mit Schmerzen, die man nicht spürt, von denen man aber weiß, dass sie da sein sollten.«
    Ich strich über seinen Unterarm, von der Ellenbeuge bis zum Handrücken. »Es tut nicht für immer weh.« Im gleichen Moment ahnte ich, etwas Falsches gesagt zu haben.
    Marlons Miene veränderte sich abrupt, als hätte er unerwartet auf etwas Bitteres gebissen. »Nur bis nächste Woche. Dann werde ich ihn vergessen.«
    Â»Ich denke für dich an Corbin.« Ich umfasste seinen Arm fester. »Ich vergesse ihn nicht. Ich werde alles aufschreiben, was ich über ihn weiß, und hebe es für dich auf. Du wirst dich

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