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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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würde ihm nicht gelingen.
    Er bettete Corbins sterbliche Überreste auf zusammengeknülltes Papier in einem Karton. Ich erkannte ein paar Seiten aus Marlons Lieblingsbüchern, viele Zeichnungen. Seine Art, Corbin etwas von sich mitzugeben, oder reine Verzweiflung? Ich wusste es nicht und erstmals seit vielen Tagen fiel mir auf, wie wenig ich ihn kannte, den Jungen, der mit einer Automatikpistole so selbstverständlich umging wie mit einem altmodischen Füllfederhalter. Er legte das Foto von sich und Corbins Freundin in den Karton. Bewegungen wie einstudiert, wie tausendmal ausgeführt und in Fleisch und Blut übergegangen. Wie schwer ihm das fallen musste.
    Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als Marlon plötzlich auffuhr, nach Corbins Gitarre griff und sie gegen die Wand schlug. Der Korpus brach, Marlon schlug erneut zu. Wut oder Tränen hätten mich erleichtert – ich hätte alles gegeben, um ihn schreien zu hören –, doch er ging vor, als würde er Holz hacken. Kraftvoll, aber emotionslos. Als das Instrument nur noch Schrott war, riss er die Saiten ab und legte sie zusammen mit einem Stück Klangholz in den Karton. Dann schloss er den Deckel und nickte mir zu.
    Â»Du musst nicht mitkommen«, sagte Emma in der Diele zu mir. »Du und Corbin …«, sie lächelte unglücklich, »und auch ich … Ich kann gut verstehen, wenn du –«
    Â»Ist schon gut«, unterbrach ich ihr hilflos anmutendes Gestammel. »Ich habe ihm verziehen. Und dir auch.« Wenn vielleicht auch nur um Marlons willen.
    Wir fuhren schweigend. Marlon saß steif aufgerichtet hinter dem Steuer seines Wagens, Emma auf dem Beifahrersitz, sie hielt die Schachtel auf dem Schoß und streichelte über die Pappe. Ich hockte zusammengesunken auf dem Rücksitz, neben mir eine Tasche mit Dingen, die mir vertraut waren, mich nun jedoch ängstigten: Brennspiritus und Zündhölzer.
    Zunächst wusste ich nicht, wohin wir fuhren, doch dann bekam ich eine Ahnung, die sich bestätigte, als Marlon auf dem Hof der alten Wassermühle parkte. Er stieg aus und den ganzen Weg über war sein Blick eine stille Bitte um Verzeihung.
    Ich presste die Lippen zusammen. Er wollte Corbin an einem Ort verbrennen, wo wir beide uns geküsst hatten – am Ufer des Kanals. Es dauerte einen Moment, bis ich das verdaut hatte. »Es ist okay. Es ist ein wunderschöner Platz.« Und genau das verdiente Corbin.
    Wir kämpften uns durch den Stacheldraht und die Wand aus Brennnesseln. Am Ufer begann Marlon Holz zu sammeln und aufeinanderzuschichten. Seit Tagen hatte es nicht mehr geregnet, sodass wir den Brennspiritus nicht benötigten, der dem Feuer seinen unangenehm scharfen Geruch aufzwingen würde. Ich nahm große Steine und bildete damit einen Kreis um die Feuerstelle. Emma zerknüllte Papier, schob es zwischen die Äste und füllte die verbleibenden Zwischenräume mit Reisig auf.
    Marlon war es, der das Feuer anzündete, und Marlon war es auch, der den Karton obenauf stellte, sobald es brannte. Er ließ seine Hand auf der Schachtel liegen, bis die Flammen daran leckten, das Feuer die Pappe schwärzte, Löcher hineinfraß und seine Finger versengte. Ich zog ihn zurück, versuchte sanft zu sein und brauchte doch all meine Kraft. Die Hitze strahlte uns in die Gesichter, aber wir wichen nur so weit zurück, dass es auszuhalten war, und setzten uns auf den Boden. Ich hatte das Gefühl, meine Wimpern würden schmelzen. Glutflöckchen stoben auf und schneiten als Asche auf uns nieder. Knisternd, fast säuselnd, verzehrte das Feuer Corbins Leichnam. Wir sahen kaum mehr als einen schwarzen Schatten, der sich im Licht der Flammen auflöste. Mit ihm schmolz das Foto. Es wirkte friedlich.
    Â»All my bags are packed, I’m ready to go«, begann Emma leise zu singen.
    Marlon und ich wandten ihr die Köpfe zu.
    Sie erwiderte Marlons Blick fragend und wartete auf seine Zustimmung, ehe sie das Lied weitersang. Sie erhob ihre Stimme über das Feuerknistern, eine warme, volle Stimme von einer Tiefe, die ich der zierlichen Emma nicht zugetraut hätte.
    Marlon legte den Kopf an meine Schulter – nur ein zaghaftes Zeichen, dass er langsam zu mir zurückkehrte, aber immerhin ein Zeichen. Ich berührte seine Wange und fühlte, dass er sich ein wenig entspannte. Er nahm meine Hand, umfasste zart mein Handgelenk und Emma sang

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