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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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schüttelten ihn. Sein Körper wehrte sich mit aller Kraft gegen die Magie, die an ihm riss. Ich konnte sie fast spüren: ein Vibrieren und Knistern, das sich um Marlon schmiegte wie eine zweite Haut. Hektisch schüttelte ich ihn an den Schultern, rieb seine Oberarme und kratzte ihn dabei in meiner Panik. Es konnten nur Sekunden vergangen sein, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit, bis er endlich gleichmäßiger atmete und ein Wort herausbekam.
    Â»Corbin.«
    Mir war, als würde der Boden unter mir nachgeben. Wir starrten uns an wie paralysiert.
    Im nächsten Moment hörte ich aus dem Zimmer hinter der Tür ein Klatschen, als würde jemand mit der flachen Hand gegen die Wand schlagen.
    Marlon kämpfte sich auf die Füße, stolperte zur Tür und rüttelte an der Klinke. Corbin hatte abgeschlossen. Ich hörte Emma hinter mir wimmern, sie zog mich ein Stück zurück.
    Wieder dieses schreckliche, klatschende Geräusch.
    Marlon nahm Anlauf und warf sich gegen die Tür. Das Holz um das Schloss herum splitterte, aber er musste noch einen Tritt nachsetzen, ehe es nachgab.
    Â»Oh nein, oh nein, oh nein«, weinte Emma.
    Corbin war fort.
    Stattdessen flatterte ein Rabe kopflos in dem kleinen Raum umher, prallte gegen das Fenster, dann gegen die Wand und fiel zu Boden. Dort blieb er liegen, die Flügel zur Seite ausgestreckt, als hätte er keine Kraft mehr, um sie schützend an sich zu ziehen. Blutflecken an den Wänden verrieten, wo er dagegengeprallt war. Das Klatschen hallte in meinem Kopf nach.
    Marlon taumelte näher und der schwarze Leib zuckte. Der Vogel konnte nicht einmal mehr den Kopf heben. Ein schwaches Beben verriet, dass er noch atmete. Noch. Unter ihm breitete sich eine Blutlache aus. Winzig eigentlich, doch erschreckend groß für so einen kleinen Körper.
    Emma griff nach meinem Arm und flüsterte: »Lass uns gehen. Er hat sicher Angst vor uns.«
    Ich zögerte, wollte Marlon nicht alleinlassen.
    Langsam und in größtmöglichem Abstand zu dem Raben ließ er sich nieder. Dann begann er zu wispern – ruhige, monotone Worte, wie eine Litanei. Vielleicht ein Lied. Für Corbin würde es fremd sein, er besaß keine Erinnerungen mehr. Ich musste unwillkürlich daran denken, wie die beiden das letzte Mal beisammengesessen hatten. Corbin starr vor Wut, doch Marlon war einfach bei ihm gewesen und hatte seinen Schmerz ausgehalten, genauso wie er es nun tat. So gerne ich etwas getan hätte, jede meiner Regungen würde stören. Emma zog sachte an meinem Arm und ich schlich mit ihr aus dem Zimmer.
    Â»Corbin«, sein Name klang wie ein Schluchzen, weil ich ihn durch meine zugedrückte Kehle pressen musste, »wird es nicht schaffen, oder?«
    Â»Nein.« Es musste an ihrem streng zurückgebundenen Haar liegen, dass sich in Emmas Miene nichts regte. Oder sie stand unter Schock.
    Â»Kann man gar nichts tun?« Mir widerstrebte es, das Wort Tierarzt auszusprechen, aber wer sonst konnte einem Vogel helfen? »Wir müssen etwas tun. Wir können ihn nicht einfach sterben lassen!«
    Â»Stress tötet uns am schnellsten«, flüsterte Emma so leise, als würde sie mit sich selbst sprechen. »Ein Vogelherz ist groß, verglichen mit dem Rest des Körpers. Aber auch empfindlich. Ein Schock reicht aus, um uns zu töten. Nach der Verwandlung haben wir ohne Schwarm keine Chance. Aber verletzt und ohne Schwarm –«
    Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, doch es wurden immer mehr. »Aber er lebt noch.«
    Â»Nein, Noa. Er hat nur noch nicht begriffen, dass er tot ist.«
    Ich blieb eine gefühlte Ewigkeit in Emmas Zimmer, wagte mich nicht hinaus. Sie hielt meine Hand. Oder ich ihre? Die Trauer ließ uns alles, was zwischen uns gewesen war, vergessen.
    Doch dann hörte ich schwerfällige Schritte im Flur und nun hielt mich nichts mehr. Ich rannte fast und blieb dann wie angewurzelt vor Marlon stehen. Er war bleich, fast grau im Gesicht, seine Augen matt und vor Müdigkeit rot gerändert. Aber geweint hatte er nicht und das bereitete mir Sorgen.
    Â»Ist es vorbei?« Meine Stimme klang hohl.
    Es schien, als bemerkte Marlon mich nicht, er ging einfach weiter, den Flur entlang und in sein Zimmer.
    Ich konnte nicht anders, ich musste zu Corbin. Wir hatten unsere Probleme gehabt, er und ich, doch das war jetzt völlig unbedeutend. Es war nicht fair. Er hatte das nicht verdient.

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