Himmelsfern
deutete nur ein Kopfschütteln an und setzte sich neben mich auf die Matratze.
Ich verstand. Sie spielten Guter Bulle, böser Bulle . Schade nur, dass sie keine Bullen waren.
Naserümpfend rückte ich ein Stück von ihm ab. »Was wollt ihr von mir?« Diesmal hielt die Stimme, aber da ich meine Wange abtastete, um mich zu vergewissern, dass das Messer mich nicht verletzt hatte, zerstörte ich den selbstsicheren Eindruck vermutlich sofort wieder.
»Wir müssen erfahren, was du weiÃt«, sagte der Junge. »Was du gesehen hast und warum du dort warst. Bei Olivier.« Er sprach leise, wie zu einem Tier, das er beruhigen wollte. Seine Stimme war melodisch und hatte einen leichten Akzent, den ich nicht zuordnen konnte. Auf den T und D lag eine eigenartige Betonung, als machte ihm die Aussprache Mühe. Spanisch vielleicht? Dem Aussehen nach waren diese Typen vermutlich Südländer. »Du könntest uns in immense Schwierigkeiten bringen« â oh, das werde ich, verlass dich drauf! â »und wir müssen uns absichern.«
Das Mädchen unterstrich seine Worte mit einem Nicken. »Das verstehst du bestimmt.«
Na sicher. Wenn das so ist, dann sei euch alles verziehen.
Mein Blick machte dem Jungen offenbar klar, was ich von seinem Gefasel hielt. Er seufzte. »Du hast recht. Du verstehst gar nichts. Würde ich auch nicht.«
»Dann glaubst du ihr?«, mischte sich das Mädchen wieder ein.
Der Mann im Hintergrund stieà einen abfälligen Laut aus und zog seine volle Oberlippe auf arrogante Weise hoch.
Der Jüngere beobachtete jede Regung meiner Miene mit schief gelegtem Kopf. »Ich bin nicht sicher, aber ich denke schon.« Er musterte mich weiter. Betrachtete, wie erneut Tränen in meine Augen stiegen, ich dagegen anblinzelte, schluckte und mir immer wieder auf die Unterlippe biss. Er begutachtete mich wie eine Mikrobe unterm Mikroskop. Nach schier endloser Zeit hielt er mir die Hand hin. Ich ignorierte sie, zog nur die Stirn kraus. Er glaubte doch nicht wirklich, dass ich nun freudig mit ihm Frieden schloss, oder?
»Mein Name ist Marlon«, meinte er und lieà die Hand wieder sinken, um auf das Mädchen zu deuten. »Das ist Em, Emma. Und der Kerl dahinten ist mein Bruder Corbin.«
Das klang nun nicht gerade spanisch. Ich war ratlos, merkte mir jedoch alles sehr genau. Ich war ein erbärmliches Entführungsopfer, aber ich würde eine wunderbare Zeugin abgeben.
»Gib ihr am besten gleich noch unsere Autokennzeichen«, schnarrte Corbin, »unsere Sozialversicherungsnummern und die genauen Geburtsdaten inklusive Sternzeichen und Aszendenten. Für diese Mistkröten kann alles von Bedeutung sein.«
Trotz aller Angst, die ich vor ihm hatte, machte er mich gleichzeitig unfassbar wütend. »Ihr meint, ihr würdet mich interessieren? Falsch gedacht!« Ich zog geräuschvoll die Nase hoch. »Ihr interessiert mich einen feuchten Dreck. Alles, was ich will, ist, von hier zu verschwinden!«
»Okay.« Marlons Geduld schien zu bröckeln, er atmete tief durch. »Sag uns einfach, was wir wissen wollen. Es liegt alles bei dir.«
Hinter dem Rücken seines Bruders formte Corbin mit den Lippen ein stilles, aber sehr deutliches »Vergiss es!«, was mir überhaupt nicht behagte. Aber hatte ich eine Wahl?
Das Mädchen, Emma, reichte mir ein Papiertaschentuch. Also tupfte ich mir die Augen ab, putzte meine Nase und erzählte stockend, wie und warum ich in das Haus gekommen war. Ich hielt mich an die Geschichte mit dem verlorenen Portemonnaie und lieà das Wort Schutzengel ungesagt.
»â¦Â und dann hat jemand gebrüllt, dass sie mich erschieÃen soll«, beendete ich meinen Bericht und deutete auf Emma. »Also habe ich versucht wegzurennen, wurde an den Haaren gezogen, in den Schwitzkasten genommen und bewusstlos geschlagen. Den Rest kennt ihr besser als ich. Und nun wäre ich euch wirklich sehr verbunden, wenn ich einfach wieder gehen könnte. Ich mache euch keinen Ãrger, ich schwöre es! Ich sage niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen.«
Emma schien ernsthaft darüber nachzudenken, sie blickte unsicher von einem Bruder zum anderen. Sie musste ebenfalls zur Familie gehören. Zwar hatte sie ein vollkommen anderes Gesicht â schmal, mit eng stehenden braunen Augen â, aber auf eine Art, die ich nicht benennen konnte, war sie ihnen unglaublich
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