Himmelsfern
Nebenraum hörte ich die drei reden. Es schien, als stritten sie. Eine Weile versuchte ich zu verstehen, was sie sagten, doch obwohl sie immer lauter wurden, fast schon brüllten, gelang es mir nicht. Ich schlich zur Tür und legte mein Ohr ans Holz. Mehr als Fetzen ihrer Diskussion verstand ich nicht, ebenso wenig konnte ich die Stimmen der beiden Männer unterscheiden.
»Du hast doch â¦Â«
»â¦Â Irrtum!«
»â¦Â erwartest du eigentlich ⦠meinen Hals zu riskieren â¦Â«
»Sind nicht schon genug gestorben?«
»Darum geht es nicht ⦠noch mehr von unseren Leuten opfern? ⦠Das ist eben Krieg!«
»Ich will das nicht! Nicht so!«
»Hör auf zu träumen, Marlon! Wach endlich auf!«
Ich vernahm lautes Poltern, offenbar war ich nicht die Einzige, die ihre Frustration am Mobiliar auslieÃ. Es war ein geringer Trost, dass die drei sich uneinig waren. Ich konnte nichts tun, auÃer zu hoffen, dass sich die richtige Partei durchsetzte.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit auf die verschlossene Wasserflasche gestarrt hatte, kam Emma zurück. Sie hielt eine kleine Nintendo-Konsole in der Hand, setzte sich zu mir auf die Matratze und legte das Gerät zwischen uns.
»Gegen die Langeweile«, erklärte sie mit einem verschämten Grinsen. »Mach nur bitte nichts kaputt, das gehört Marlon und der macht mir eine Szene, wenn er ihn nicht wiederbekommt.«
Mit Super-Mario würde ich mich sicher nicht beschwichtigen lassen. »Wie viel Uhr ist es?«
»Gleich Mitternacht.«
So spät schon. »Wie lange war ich ohnmächtig?«
»Knappe drei Stunden.« Sie warf mir einen Blick zu, als müsse sie überlegen, wie viel sie mir sagen konnte. »Wir haben mit ein wenig Chloroform nachhelfen müssen, um dich herzubringen.«
Gefangen genommen, niedergeschlagen, entführt, eingesperrt und bedroht. Nun verlängerte sich meine Liste also noch um narkotisiert . Ich musste an meinen Vater denken, der sicher langsam verrückt wurde vor Sorge. Vermutlich hatte er längst die Polizei informiert.
»Ihr scheint mir bestens ausgestattet. Macht ihr das häufiger? Leute kidnappen?«
Emma antwortete nicht. Stattdessen nahm sie die Wasserflasche, drehte den Verschluss auf und trank ein paar lange Schlucke. Dann hielt sie mir die Flasche hin. »Es ist nicht vergiftet.«
Ich nippte nur an dem Wasser, obwohl ich groÃen Durst und trotz meiner Kaugummis immer noch einen üblen Geschmack im Mund hatte. Ob das Nachwirkungen des Chloroforms waren?
»Was, wenn ich pinkeln muss?«
Emma stand auf und deutete mit dem Kinn auf den Eimer.
Ich vergrub das Gesicht in den Händen und setzte gedemütigt auf meine Liste.
Als ich erwachte, war es hinter den Jalousien ein wenig heller. Das Licht hatte ich die ganze Nacht brennen lassen. Ich klappte die Spielkonsole auf â kurz nach acht Uhr morgens. Das war sie also gewesen, meine erste Nacht als Entführungsopfer. Gut geschlafen hatte ich nicht, jedoch besser als erwartet. Keine Albträume von Folter, Mord und Vergewaltigung, zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern. Ich trank ein paar kleine Schlucke und kühlte mit dem Rest des Wassers meine Beule sowie meine geschwollenen Lider. AnschlieÃend aà ich beide Ãpfel und war danach hungriger als zuvor. Irgendwo in der Wohnung hörte ich eine Tür, dann eine leise Stimme. SchlieÃlich wurde meine Zimmertür geöffnet. Diesmal war es Marlon.
»Komm«, forderte er mich auf. »Du kannst ins Bad.«
Er führte mich durch einen mit Kisten vollgestellten Flur zu einem olivfarben gekachelten Badezimmer. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas Hässlicheres gesehen zu haben, trotzdem erfüllte mich der Anblick der lindgrünen Kloschüssel mit Erleichterung. Marlon überreichte mir eine originalverpackte Zahnbürste und ein Handtuch, das ungefähr so flauschig war wie Schmirgelpapier.
»Die hattet ihr bestimmt rein zufällig hier herumliegen«, bemerkte ich sarkastisch und riss die Zahnbürste aus dem Blister, was meiner verletzten Hand gar nicht gefiel.
»Du glaubst, wir bereiten uns mit Gästezahnbürsten auf Entführungen vor? Ich muss dich enttäuschen, so weit geht unsere Planung nicht. Ich war heute Nacht bei der Tankstelle einkaufen und dachte, dir damit einen Gefallen zu tun. Bitte.« Er wies ins Bad. Mit hocherhobenem Kopf
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