Himmelsfern
ähnlich.
»Wir werden das besprechen.« Marlon stand auf. Irgendetwas an meiner Erzählung schien ihn nervös gemacht zu haben, er fuhr sich permanent mit allen fünf Fingern durch die Haare, wobei er sich kleine Strähnen ausriss, da er offenbar schon länger keinen Kamm mehr bemüht hatte.
»Du hast gesagt, ihr lasst mich gehen, wenn ich euch sage, was ich weiÃ.«
Er zuckte mit den Schultern. »Das habe ich so nie gesagt. Du solltest uns sagen, was wir erfahren wollen.«
Der Mistkerl hatte mich gelinkt! »Aber â¦Â«
Zwecklos, sie gingen. Marlon warf noch einen Blick zurück, als Corbin und Emma das Zimmer längst verlassen hatten.
»Warte!«, rief ich ihm nach. »Bekomme ich wenigstens etwas zu trinken? Darf ich meinen Vater anrufen und ihm sagen, dass es mir gut geht?«
Schien er auf meine erste Frage noch antworten zu wollen, hatte ich es mir mit der zweiten offenbar verscherzt. Er zog die Tür energisch von auÃen ins Schloss.
Ich blieb mit mehr Wut als Angst zurück. Frustriert quetschte ich das feuchte Tuch in der rechten Hand aus, lieà das Wasser auf die Matratze tropfen und schleuderte das Stück Stoff dann quer durchs Zimmer. Ich stand auf, tigerte in meinem Gefängnis umher, murmelte wüste Beschimpfungen und kickte, so fest ich konnte, gegen die Pappkartons. Warf die Sitzkissen gegen die Wand. Trat auf die Kartons ein, bis sie nur noch Altpapier waren. Es war sinnlos, alles zu zerstören; vermutlich würde es die Laune meiner Entführer nicht heben. Aber ich wollte nicht in blinde Panik geraten und mich meiner Angst ergeben, also zündelte ich mit meiner Wut, bis ich mein Handgelenk kaum noch bewegen konnte, und hielt mich an Zorn und Schmerz fest. Am liebsten hätte ich das Fenster eingeschlagen, aber meine Zelle gab nichts her, womit mir das hätte gelingen können.
Als ich gerade auf die Idee kam, die Kissen kaputt zu reiÃen, wurde die Tür aufgeschlossen. Emma trat ein. Sie beachtete das Chaos, das ich veranstaltet hatte, gar nicht, sondern legte eine Plastikflasche Mineralwasser und zwei Ãpfel neben meiner Matratze ab. Ich spielte mit dem Gedanken, sie anzugreifen, doch sie musste die Idee in meinem Blick erkannt haben. »Versuch es gar nicht erst. Du kommst nicht mal bis zur Haustür. Wir sind alle bewaffnet. Und Corbin ist stinksauer.«
Warum nur machte mir der letzte Satz am meisten Angst? Ich lehnte mich gegen die Wand und fühlte mich so schwach und hilflos wie nie zuvor in meinem Leben.
»Warum macht ihr das?«, flüsterte ich, obwohl ich mir keine Antwort erwartete. »Was habe ich euch denn getan?«
»Nichts. Noch nicht.«
»Ich war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Verdammt, ich wünschte, ich wäre diesem Stephan Olivier nie begegnet.«
Emma sah mich an und irgendetwas in ihren Augen veränderte sich. Sie wirkten plötzlich unfassbar traurig. »Dann haben wir etwas gemeinsam.«
»Könnt ihr mir nicht erklären, was hinter alldem steckt? Ich möchte wenigstens wissen, warum ich hier festgehalten werde.« Und ich brauchte Informationen für die Polizei.
Sie zögerte und rieb sich über den Haaransatz an der Stirn, als würde ihr die straffe Hochsteckfrisur Schmerzen bereiten. »Alles, was ich dir sagen kann«, meinte sie schlieÃlich, »ist, dass Olivier und seine Leute uns verfolgen. Sie jagen uns und machen dabei vor nichts halt. Nicht einmal vor Mord. Ich glaube dir, dass du nicht zu ihnen gehörst. Es war offenbar eine Verkettung unglücklicher Umstände.«
»Dann lasst ihr mich gehen.« Ich bemühte mich, weder fragend noch bittend zu klingen.
Emma schluckte und kratzte sich an der Schläfe, bis die gespannte Haut rote Streifen zeigte. Absurderweise fiel mir ihr olivfarbener Nagellack auf, ich hatte den gleichen Farbton zu Hause.
»Ich würde dich gehen lassen«, murmelte sie, meinen Blick meidend. »Aber ich kann das nicht entscheiden. Ich weià es wirklich nicht. Tut mir leid.«
Sie lieà mich allein. Diesmal wütete ich nicht. Mit ihren letzten Sätzen hatte Emma mir allen Zorn genommen und durch Fassungslosigkeit ersetzt. Ich lieà mich zu Boden gleiten und begriff ganz langsam die Bedeutung ihrer Worte. Wenn sie mich nicht gehen lieÃen â weder jetzt noch morgen oder in drei Tagen â, würden sie mich, früher oder später, umbringen.
Im
Weitere Kostenlose Bücher