Himmelsfern
lauschen, vernahm murmelnde Stimmen, konnte aber nicht verstehen, worüber sie sprachen. Allein war ich jedenfalls nicht, an Flucht brauchte ich also gar nicht erst zu denken. Resigniert setzte ich mich zurück auf die Matratze, lehnte den Rücken gegen die Wand, zog meine Beine an den Körper und wartete.
Ich weià nicht mehr, wie lange ich dort hockte und mir die Innenseite der Unterlippe blutig biss. Vielleicht waren es ein oder zwei Stunden, vielleicht auch nur fünf Minuten. Auf jeden Fall hörte ich irgendwann Schritte und Stimmen, die sich meinem Gefängnis näherten. Was würde nun geschehen? Der Schmerz in der Beule fühlte sich wie das Jaulen einer an- und abschwellenden Sirene an. Die Tür wurde aufgestoÃen und ein junger Mann und ein Mädchen traten ein, eine dritte Person blieb im Türstock stehen.
»Sie ist wach«, sagte das Mädchen. Sie lieà sich vor der Matratze auf die Fersen nieder und sah mich ernst an. Ich schätzte sie auf achtzehn Jahre â reichlich jung, um schon Menschen zu kidnappen. Ihr Haar war von verschiedenen Brauntönen und so fest am Hinterkopf hochgesteckt, dass die Haut an ihren Schläfen spannte.
In der Miene des Mannes, der dicht neben ihr blieb, stand Missbilligung und Skepsis.
»Was weiÃt du?«, fragte sie mich, wobei sie jede Silbe betonte, als sei ich geistig nicht ganz auf der Höhe.
Ich presste meinen Rücken, so fest ich konnte, gegen die Wand, wäre am liebsten mit dem Gemäuer verschmolzen. »Was sollte ich wissen? Dass ihr mich niedergeschlagen und entführt habt. Mehr nicht.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. Meine Antwort gefiel ihr nicht. »Was weiÃt du über Stephan Olivier?«
»Nie gehört. Wo bin ich? Was wollt ihr überhaupt von mir?«
Erneutes Kopfschütteln. »Stephan Olivier«, beharrte sie. »Du warst bei ihm, also lüg mich nicht an. Was wolltest du von ihm?«
Ein hysterisches Schnauben, fast ein Lachen, kam ungewollt über meine Lippen. »Ich kenne den Typen nicht. Ich war zufällig in diesem Haus, ich â«
»Du hattest nicht rein zufällig Informationen für ihn?«, unterbrach mich der Mann. Die Art, wie er auf mich heruntersah, trieb meine Angst ins Bodenlose. Er war groÃ, breitschultrig und hatte schwarzes, zu einem Irokesen hochgestyltes Haar. Im künstlichen Licht schienen sogar seine Augen schwarz. Er mochte allenfalls zwanzig sein, doch seine Augen wirkten alt und hart wie Steine.
»Ich weià überhaupt nicht, wovon ihr redet!« Meine Stimme geriet ins Wackeln, taumelte in nervöse Höhen und ich räusperte mich mehrmals.
Der Mann glitt geschmeidig vor mir in die Hocke, fixierte mich, bis ich mich nicht mehr zu rühren wagte. Selbst ein Blinzeln schien mir zu riskant. Er griff in seine GesäÃtasche und zog ein Butterflymesser hervor. Lieà es aufschnappen. Fuhr mit Daumen und Zeigefinger die Schneide entlang. Ich bemerkte die aufsteigenden Tränen in meinen Augen nur, weil das Bild plötzlich verschwamm. Mein Körper schien vor Angst betäubt. Ganz langsam streckte er den Arm aus, brachte die Klinge Zentimeter für Zentimeter näher an meine Haut. Ich sah, wie das Mädchen die Lippen zusammenpresste und dem Mann unruhige Blicke zuwarf. Sie schien nicht einverstanden mit dem, was er tat, machte jedoch keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Das Messer berührte meine Wange. Eiskalt.
»Was weiÃt du, Kleines?« Seine Stimme war ein Schnurren.
Meine ein Krächzen. »Nichts. Ich weià wirklich nichts. Ich wollte mit dem Typen reden, weil er â«
Der Mann zog das Messer zurück und kippte nach hinten. Zuerst verstand ich den Grund dafür nicht, aber dann registrierte ich, dass er von der dritten Person, ebenfalls ein junger Mann, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, fortgerissen worden war.
»Es gibt keinen Grund, sie noch mal zu verletzen!«, zischte er.
Und dann erkannte ich ihn. Oh mein Gott, es war der Junge vom Brunnen! Er war ein wenig jünger und kleiner als der dunkelhaarige Hüne, auÃerdem nicht ganz so muskulös, sah ihm aber dennoch extrem ähnlich. Schwarzes Haar, wenn auch länger, ähnliche kantige Züge und dieselben dunklen Augen, misstrauisch verengt. Und nebenbei war er verdammt wütend.
Der andere richtete sich wortlos auf und warf ihm Blicke zu, die mich zum Heulen gebracht hätten. Doch der Junge
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