Himmelsfern
entwickeln Stimulantia und Mittel, die die Selbstheilung unterstützen, um ihre Mitglieder leistungsfähiger zu machen. Was sie nicht selbst nutzen, verkaufen sie an andere Pharmakonzerne. Angeblich sollen sie im 19.  Jahrhundert das Rezept für Acetylsalicylsäure veräuÃert und damit Millionen gemacht haben.«
»Dann verdanken wir euren Feinden das Aspirin? Das müssen ja wahnsinnig schlechte Menschen sein.«
»Sie hätten das Rezept sicher nicht verkauft, wenn sie nicht längst ein besseres Mittel entwickelt hätten. Und sie verkaufen ihre Forschungsergebnisse ebenso an zahlungskräftige Drogenbarone. So finanzieren sie ihre Einsätze und in den Laboratorien können sie ungestört ihre Experimente an â¦Â« Er schluckte und deutete ein Kopfschütteln an. Ich hätte gerne gewusst, was er sagen wollte, ahnte aber, dass er es nicht verraten würde. Um seine Augenbrauen lag ein finsterer Zug, der ausdrückte, dass er schon mehr gesagt hatte, als er eigentlich wollte. Sehr viel mehr.
»Merk dir einfach Folgendes«, fuhr er nach einem Räuspern fort. »Sie sind extrem stark, bestens organisiert, bekommen von klein auf eingetrichtert, uns zu hassen, und kennen kaum finanzielle Grenzen. Das macht sie sehr gefährlich.«
»So etwas wie eine Eliteeinheit«, fasste ich zusammen. Das würde auch erklären, wie Stephan Olivier trotz der schweren Verletzungen hatte fliehen können. Mein Schutzengel war ein Elitesoldat, der an einer ganz speziellen Front kämpfte. Das war weit weniger romantisch als Rosalias Version, aber in gewisser Weise glaubwürdiger. Auch dass er im Fitnessstudio trainierte, passte ins Bild. Trotzdem blieb so vieles unklar.
»Woher weiÃt du all das?«, fragte ich Marlon. »Man wird das kaum im Internet nachlesen können.«
Seine Antwort kam staubtrocken: »WikiLeaks.« Während mir der Mund aufklappte, presste er die Lippen zusammen, ganz eindeutig, um nicht zu grinsen. »Nein, das war SpaÃ. Meine GroÃeltern haben die Huntsmen intensiv studiert und mein UrgroÃvater und davor mein UrurgroÃvater.« Die Heiterkeit verschwand so schnell aus seinen Zügen, wie sie gekommen war. Seine Stimme bekam einen Unterton, der klang, wie Grünkohl schmeckt: bitter, mit einem Nachgeschmack, von dem man glaubt, er wird nie mehr weggehen. »Für meine GroÃeltern endete die Sache nicht so gut.«
Mir wurde unbehaglich zumute. Ich wollte ihm mein Beileid aussprechen, aber es kam mir nicht über die Lippen. Es hätte so hohl geklungen, nachdem ich ihn eben noch verspottet hatte, so unecht und leer. »Und deine Eltern?«, flüsterte ich stattdessen.
Er winkte ab, sah einem VW-Bus nach, der vorbeiknatterte und eine schwarze Abgaswolke über die StraÃe zog. »Die wollen damit nichts zu tun haben. Das finanzielle Erbe meiner GroÃeltern kam ihnen dagegen ganz recht. Nicht dass sie es gebraucht hätten â¦Â«
Wir schwiegen. Marlon schien mit seinen Gedanken weit weg und ich schaffte es nicht einmal, denen zu folgen, die er laut ausgesprochen hatte. Es schwebten zu viele Fragen wie Pollen in der Luft.
»Was ich nicht verstehe«, sagte ich schlieÃlich, »ist das Warum. Diese ⦠Huntsmen werden euch doch nicht ohne Grund jagen. Was habt ihr getan?«
War es für Marlon zuvor schon schwierig gewesen, so schien ihn diese Frage in arge Bedrängnis zu bringen. Ich beobachtete ihn genau. Sein Blick flackerte unstet den Himmel entlang, seine Atemzüge wurden flacher, als laste Druck auf seiner Brust. Er blieb scheinbar lässig sitzen, doch die Adern an seinen Unterarmen traten ein wenig stärker hervor.
» Kannst du es mir nicht sagen oder willst du nicht?«, fragte ich.
»Nichts davon. Ich habe Angst.«
»Hm.« Ich lieà den Kopf sinken, schloss die Augen und massierte meine Schläfen. Dieser Tanz zwischen Wahrheit und Lüge, Misstrauen und Glauben strengte mich an. Mein Hirn pulsierte wie die rot glühende Beule einer Comicfigur. Plötzlich berührten seine Finger meinen Handrücken.
»Ich werde mir überlegen, auf welche Art ich dir mehr sagen kann«, versprach Marlon leise.
Wenn ich die Lider ein winziges Stück öffnete, konnte ich durch meine Wimpern seine Hand erkennen, die langen Finger und die schlanken, sehnigen Muskeln an seinem Unterarm. Er musste ganz schön stark sein, wenn er seinen bulligen
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