Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
herumfummelst.«
    Er grinste breit. »Gleich drei Wünsche auf einmal?«
    Â»Du hast es erfasst. Und du fängst an.«
    Â»Nein.«
    Â»Dann«, ich setzte eine bedauernde Miene auf, »such dir einen anderen, der dir die Geschichte vom namenlosen Hund erzählt.«
    Ich wendete mich ab, doch wie ich vermutet hatte, hielt Marlon mich zurück. Sein »Warte!« klang mürrisch, aber es kam unverzüglich.
    Â»Ich beantworte zwei deiner Fragen vor der Geschichte, die dritte danach. Du wolltest wissen, was ich hier mache. Nun, wie du so treffend bemerkt hast, befummle ich Steine.«
    Ich wollte widersprechen, dass mir diese Antwort nicht ausreichte, aber er sprach schon weiter.
    Â»Und das tue ich, wei…weil sie singen.«
    Ah. Logisch. Weil sie singen. Was sollen sie auch sonst mit ihrer Zeit anstellen. Tanzen dürfte schwierig werden.
    Der Typ war nicht nur ein Verbrecher, er war auch noch geisteskrank. Rosalia hatte recht gehabt, als sie sagte, Männer wären wie Schuhe im Schlussverkauf: Entweder sie sind hässlich, zu klein oder sie haben irreparable Macken. Dieses Exemplar hier schien nur aus Macken zu bestehen, sah man mal von der Optik ab.
    Aber Verrückten sollte man nicht widersprechen. »Okay. Nehmen wir mal an, dass sie singen. Warum lässt du dir die Geschichte des Denkmals dann nicht einfach vorsingen?«
    Â»Weil es so nicht funktioniert. Sie singen nicht selbst. Ihre Lieder müssen erst in den Stein hineingesungen werden. Solche Steine zu finden, ist nicht leicht. Sie singen längst nicht alle und jedes Jahr werden es weniger. Meine Aufgabe ist es, jene zu finden, die es noch tun.«
    Singende Steine – so ein Schmock! Doch um ehrlich zu sein, erinnerten mich seine Fantasien an eine Begebenheit vor einigen Jahren. Ich hatte ein Vibrieren in einem Stein wahrgenommen – ein Gefühl, als sei der Stein hohl und ein Bienenstock hätte sich darin versteckt. Und als Einbildung abgetan. In Marlons Augen blitzte der Schalk, als er mein Interesse wahrnahm. Vermutlich veräppelte er mich doch nur.
    Â»Wenn dir das mit dem Singen zu abgedreht erscheint«, fuhr er fort, »dann stell es dir einfach so vor, dass Informationen im Stein gespeichert werden, die akustisch wieder abgerufen werden können. Ich bin also so etwas wie ein Experte für Töne und Akustik. Sag mal ehrlich: Ist es so abwegig, Töne in Steinen zu speichern, wenn man Massen an Informationen auf einem winzigen Metallchip archivieren kann?«
    Â»Das ist Wissenschaft, physikalisch erklärbar.«
    Â»Beides ist Wissenschaft. Die eine ist nur noch nicht erforscht.«
    Klar, außer von dir, du Intelligenzbestie, dachte ich, beließ es aber beim Denken. »Also gut, die Geschichte des Denkmals.« Ich seufzte, setzte mich in Bewegung und ging langsam in Richtung meiner Siedlung. Marlon blieb mit respektvollem Abstand neben mir, was es etwas leichter machte. »Vor mehr als dreißig Jahren floss der Fluss noch in seinem natürlichen Bett, die Leute angelten und die Kinder planschten darin. Nachdem er begradigt und die Ufer asphaltiert worden waren, floss die Strömung gefährlich stark, doch einige Leute wollten das nicht wahrhaben und nutzten das flache Kiesufer ein paar Hundert Meter stromaufwärts, um ins Wasser zu gelangen. Ein Junge wurde abgetrieben und von der Strömung mitgerissen. Keiner der Passanten hatte den Mut, ihn zu retten, und er wäre um ein Haar jämmerlich ertrunken. Doch plötzlich erschien ein Hund, sprang ins Wasser und packte den Jungen am Kragen. Er paddelte mit ihm ans Ufer, wo Helfer das Kind zu fassen bekamen. Der Hund wurde von der Strömung erfasst und fortgetrieben.« Mein Blick floss mit dem Kanalwasser in die Ferne. »Man hat seinen Kadaver nie gefunden. Als Andenken an diesen Tag wurden überall Stacheldrahtzäune gezogen, Schilder aufgestellt und das Baden unter Strafe gesetzt. Tja, und der Vater des Kindes – rein zufällig war er der Bürgermeister der Stadt – ließ diese Statue errichten, damit der Hund weiterhin über den Kanal wacht.«
    Marlon lächelte versonnen. »Eine schöne Geschichte. Ebenso schön wie diese Stadt.«
    Ich schnaubte. »Diese Stadt ist nicht schön. Sie ist so hässlich, dass die Menschen nie den Kopf heben, sondern permanent den Boden anstarren.« Vielleicht war die Stadt aber auch nur so hässlich, weil die Menschen permanent den Boden

Weitere Kostenlose Bücher