Himmelsfern
fiktive Marlon-E-Mail-Adresse ein.
Du auch, Marlon.
Ich drückte auf Senden. Zufrieden klappte ich das Handy zu. Für ein paar Minuten blieb ich noch am Fenster stehen. Nur um sicherzugehen, dass kein Zeichen mehr aus Richtung der Hütte kam. Es kam auch keins. Stattdessen fiel eine Sternschnuppe.
Aber ich wusste beim besten Willen nicht, was ich mir wünschen sollte.
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Wie man das Feuer fliegen lässt
Die folgenden Tage veralberten mich, indem sie mir vormachten, alles sei wie immer. Sie taten ihr Bestes, aber ich wusste, dass es nur Show war. Auch wenn es niemand auÃer mir erkannte, war mir klar, dass sich etwas Entscheidendes verändert hatte. Ich kam mir vor wie Galileo Galilei, der wusste, dass die Erde sich um die Sonne drehte, sosehr es alle anderen auch abstritten. Nur dass ich mich nicht streiten konnte, denn dazu hätte ich reden müssen. Reden allerdings war tabu.
Lediglich Rosalia erzählte ich ein wenig von Marlon, aber auch nur, weil ich jede Nachfrage ihrerseits umlenken konnte, indem ich auf sein ÃuÃeres zu sprechen kam. Rosalia ist nicht so oberflächlich, wie das klingen mag, sie lässt sich nur gut ablenken, quietscht begeistert und ärgert sich erst nach dem Auflegen, mir wieder nichts Entscheidenderes entlockt zu haben.
Mit Dominic dagegen konnte ich kaum ein Wort über Marlon wechseln. Wir kannten uns zu gut. Er würde die richtigen Fragen stellen, was mich zum Lügen zwänge, und das würde er wiederum durchschauen. Also lieà ich nur fallen, dass ich jemanden kennengelernt hatte. Einen Flirt, so nannte ich Marlon. Nichts Ernstes. Er gab sich damit zufrieden, obwohl er bestimmt sehr genau merkte, dass da noch mehr war. Ich konnte kaum glauben, wie gelassen er mein Schweigen hinnahm. Vor ein paar Wochen hatte er sich um ein Mädchen bemüht und war auch eine Weile mit ihr zusammen gewesen. Ich war ihm mit meiner Neugier â ich muss gestehen, dass auch ein Quäntchen Eifersucht im Spiel gewesen war â schrecklich auf die Nerven gefallen. Dom akzeptierte meine Privatsphäre eindeutig besser als ich seine. Wir gingen gemeinsam skaten, strolchten durch die StraÃen und nutzten die heiÃen Tage, um uns die Haut im überchlorten Freibad verätzen zu lassen. Meine Mutter war stolz auf mich, weil ich weiterhin etwas für meine Figur tat, auch wenn ich das Projekt McSweat abgeschrieben hatte.
Nachdem mein Handgelenk nicht mehr aufmuckte, nahmen wir das Poi-Training wieder auf. Dom hatte sich zu meinem Coach erklärt, gab mir Tipps zu meiner Haltung, meckerte, sobald ich aus dem Rhythmus kam, und war immer für mich da, wenn es brannte. Das war wortwörtlich gemeint, denn ich hatte es bei einem meiner allerersten Feuertänze geschafft, meine halbe Hose abzufackeln, während mein Bein noch drinsteckte. Doms beherztem Eingreifen war es zu verdanken, dass nichts auÃer einer unscheinbaren Brandnarbe am Oberschenkel zurückgeblieben war. Derzeit war es schlichtweg zu warm, um die Poi anzuzünden. Die Ãbungen waren auch ohne Feuer schweiÃtreibend genug, doch ich hängte mich rein, als ginge es um mein Leben. Denn solange ich mit den Poi tanzte, musste ich nicht an Marlon denken.
In den ersten Tagen hatte ich noch oft zu den Gärten hinübergesehen oder auf der Spielplatzmauer gesessen. Doch selbst dort wies nichts auf ihn hin. Es war, als hätte es ihn nie gegeben, und ich fragte mich mehr als einmal, ob er schon gegangen war. Wohin auch immer er gehen wollte.
Mamas Aufenthalt näherte sich seinem Ende. Natürlich. In wenigen Tagen wäre Joels Geburtstag gewesen; diesen Tag verbrachte sie nie mit Papa und mir, sondern am liebsten so weit fort von uns wie nur möglich.
An ihrem letzten Tag in Deutschland lud sie mich noch einmal zu einem Eisbecher ein. Die AuÃentische des Cafés waren über den Marktplatz verstreut, mit Blick auf den Brunnen sowie die Löwenstatue, die über ihn wachte. Hier hatte ich Marlon zum ersten Mal gesehen, damals im Regen. Heute grillte uns die Sonne und lieà die Luft um die Steine herum flirren. Trotzdem erschien nicht mal eine Fata Morgana von Marlon.
Mama und ich schlürften Milchshakes, redeten über Mode, stramme Schenkel und die neue Staffel ihrer Lieblingsfernsehserie (die ich nicht kannte, aber das musste sie nicht wissen). Wir sahen jungen Männern hinterher und kicherten. Mädchen in meinem Alter stand der Neid ins Gesicht
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