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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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der es Absonderlichkeit nicht geben durfte. Aber er war anders. Er war der Wechselbalg. Durch diese Bezeichnung sorgfältig aus ihrem Kreis herausgeschnitten, sodass niemand für ihn verantwortlich sein musste.
    Die Jahre auf dem elterlichen Hof waren hart, doch nie so hart, um mehr zu brechen als ein paar Knochen, die wieder zusammenwuchsen. Er bedauerte das. Jede Strafe, jeder Schlag mit dem Riemen brachte die Hoffnung, das Zerren seines Herzens zu zerstören und das grausame Flüstern zum Schweigen zu bringen. Er forderte die Maßregelungen regelrecht heraus. Stöcke zerbrachen bei dem Versuch, seiner widernatürlichen Sehnsucht ein Ende zu setzen. Waren seine Knochen auch zerbrechlich, sein Fleisch auch zerreißbar – das Sehnen in seiner Brust war es nicht.
    Mit den Jahren fand er heraus, was er am besten konnte. Seine Finger waren schnell und geschickt, niemand knüpfte schneller ein Netz als er. Und so verließ er den Hof der Eltern am Tag, als sie versprachen, ihn nicht zurückzuholen, und fand Arbeit bei einem Fischer. Er liebte es, dem altersblinden Mann die Netze zu binden, die Planken des Bootes zu schrubben und das Segeltuch sauber zu halten. Bald oblag ihm die Verantwortung für jedes einzelne der Taue an Bord und es dauerte nicht lange, da hörte er an ihrem Knarren, wo ein Knoten sich zu lockern oder eine Faser zu reißen drohte. Doch nur ein einziges Mal, an Brijans erstem Tag, nahm der Fischer ihn mit hinaus aufs Meer, denn sein Lehrjunge verdarb ihm den Fang. Kein Fischlein fand sich im Netz wieder, solange der Junge an Bord war.
    So musste er also im Hafen zurückbleiben, und wenn sein Meister einlief, ließ Brijan sich nicht anmerken, wie sehr es ihn schmerzte, die toten Fische, die sich in den Netzen verfangen hatten, herausschneiden zu müssen. Ihn verstörte der Anblick der Seile, die sich tief in die glitzernden Leiber gegraben hatten. Es war, als legte sich eine solche Schlinge auch um seinen Körper – er spürte, was die Fische spürten. Erst wenn der ganze Fang in Salzfässern eingelagert war, lockerte sich das Seil um seinen Magen und Brijan begann mit der Arbeit, die die Plackerei mit den Fischkadavern wieder wettmachte. Begleitet vom Knarren der Bohlen, dem hölzernen Klopfen, mit dem die Schiffsrümpfe gegen den Steg schwankten, und dem Geschrei der Möwen schrubbte er Seepocken und Algen von den Außenwänden des Kutters und flickte Netz um Netz.
    Das Leben hier am Meer war besser als alles, was er kannte, doch noch immer hörte Brijan die steten Stimmen, die ihn umwarben. Im Rauschen der Flut lagen lüsterne Versprechungen und in dem Plätschern der Wellen, die gegen das felsige Küstengestein schlugen, klangen gurrende Lockrufe mit.
    Doch einen Teil seines kargen Erbes gab der Junge nicht hin: Er hielt an seiner Gottesfurcht fest und verschloss sein Herz vor den dämonischen Stimmen, die ihn, so hatte es der Vater gelehrt, in die Verdammnis rufen wollten.
    Zum Ende des Sommers hin verstarb der alte Fischer und seine Frau gab ein Geschrei von sich, dass man es drei Dörfer weiter noch hörte. Am Tag darauf jagte sie den Jungen mit Schimpf und Schande fort, als er keinen Fisch – Herrimhimmelisteszuglauben, nicht mal eine mickrige Gräte –, an Land brachte. In ihrer Wut auf den Gatten, der ihr keinen Sohn geschenkt und stattdessen einen Nichtsnutz von Lehrling zurückgelassen hatte, sprach sie einen Fluch aus. Das Meer solle die Seele des vermaledeiten Jungen holen, da er, Herrimhimmelisteszuglauben, zu nichts anderem als Fischfutter taugte. Von dem Tag an wusste Brijan, dass er von Gott ebenso verlassen worden war wie von seinem Vater, der ihn den Glauben gelehrt hatte.
    Nun mag man es Zufall oder Schicksal nennen, dass der Fluch der alten Vettel längst nicht mehr nötig war, denn die legendären Herrscher der Tiefe hatten ihre Wahl bereits vor Jahren getroffen, als die unberührte Mutter des Jungen im Meer geschwommen war und angeboten hatte, den Stammhalter einer neuen Generation für sie auszutragen. Doch weckte das keifende Fischerweib sehr wohl die Neugier der Herrscher des Meeres und erinnerte sie daran, dass aus dem Samen inzwischen ein junger Mann herangewachsen war.
    In derselben Nacht, als ein voller Mond vor Furcht im Ozean zitterte und ein zweiter kalt und gleichgültig vom Himmel aus zusah, fand der Junge sich am Ufer wieder, ohne zu wissen, wie er dorthin

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