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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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gab es keine Zweifel mehr. Nachdenken wurde unnötig. Intuitiv schwang ich das Feuer um meinen Körper, ließ es über meinem Kopf rotieren, drehte mich, änderte die Richtung der Swings, ließ sie parallel und dann wieder in entgegengesetzte Richtungen kreisen. Meine Gefühle flossen durch die Ketten in das Feuer, das meine Ängste verbrannte. Ich malte Achten dicht über dem Kiesboden und sprang über die Flammen hinweg, zog die Poi wieder nach oben und ließ das Feuer fliegen. Vermutlich summte ich sogar die Musik mit, was meist unweigerlich geschah, wenn ich im Tanz versank. Zur Mitte des Songs hin legten die Gitarren an Tempo zu, wurden laut und forderten mich. Ich dachte nicht darüber nach, dass ich immer noch etwas aus der Übung war, sondern versuchte als Antwort eine schwierige Weave-Variante, bei der man einen Poi vor dem Körper kreisen lässt und mit dem zweiten doppelt so schnelle Swings von oben und unten in den Grundkreis einflicht. Ich geriet etwas aus dem Takt und fluchte leise, doch ich patzte nicht, und als die Musik beim letzten Refrain noch einmal zulegte, wiederholte ich die Übung. Diesmal gelang sie annähernd perfekt. Der Fluss in den Bewegungen überwältigte mich. Es war, als würde ich fliegen, inmitten des Feuers. Vielleicht wurde ich ein wenig übermütig, denn ganz zum Schluss versuchte ich mich an einem Overhead-Stall, bei dem beide Poi direkt über dem Kopf zum Stehen kommen und einen Moment dort verharren. Es gelang – alles andere hätte mich auch in brenzlige Schwierigkeiten gebracht.
    Zufrieden und schwer atmend ließ ich das Feuer sinken. Ich nahm die Ketten in eine Hand, zupfte mit der anderen die Kopfhörer aus den Ohren und wischte mir über die Stirn.
    Â»Du bist gut.«
    Vor Schreck fielen mir die Poi aus der Hand, ein zorniges Rußwölkchen stieg auf. Ich fuhr herum.
    Marlon. Wer auch sonst?
    Er saß lässig und mit gekreuzten Beinen am Rand des Weges, die Unterarme auf den Knien abgelegt.
    Â»Du …« Ich musste mich räuspern. »Du bist mir gefolgt.«
    Â»Das tu ich oft, ja.«
    Ich spürte, wie ich knallrot anlief. Mist! Ich sollte nicht erröten, weil mein ehemaliger Entführer mir heimlich und unbemerkt folgte. Ich sollte eigentlich in Tränen ausbrechen oder in Panik geraten und wegrennen. Ich sollte die Polizei rufen. Stattdessen wurde mir warm im Bauch. Prächtig.
    Rasch wandte ich mich ab, schlug die Poi in das feuchte Handtuch ein und löschte die ersterbenden Flammen.
    Â»Das war beeindruckend«, sagte Marlon und stand plötzlich keinen Meter hinter mir. »Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Kampf oder ein Tanz war. Wie siehst du das?«
    Â»Nichts davon und beides«, erwiderte ich gereizt. Ich war dankbar, dass meine Hände damit beschäftigt waren, meine Sachen zusammenzupacken. »Es ist ein Spiel. Ursprünglich stammt Poi aus Neuseeland. Die Maori-Krieger nutzten es, um ihre Geschicklichkeit zu verbessern. Und die Frauen spielten Poi zu Musik. Zum Zeitvertreib und um den Göttern zu huldigen.«
    Â»Interessant«, unterbrach mich Marlon. »Aus Kampf und Krieg kann also auch etwas Schönes entstehen. Ein Spiel.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte recht; so sehr recht, dass es unangenehm war. »Allerdings wurden die Poi damals noch nicht angezündet.«
    Â»Aber das ist es, was dich daran reizt«, mutmaßte er. »Das Spiel mit der Gefahr.«
    Â»Man tanzt mit seinem Todfeind«, antwortete ich leise.
    Â»Gar keine Angst, dich zu verbrennen?«
    Ich rollte mit den Augen. »Nie. Man muss den Tanz beherrschen. Es ist die Kontrolle des Unkontrollierbaren, kein Risiko. Ein Seiltänzer über einem Abgrund oder ein Fallschirmspringer empfinden vielleicht dasselbe. Man fühlt sich einfach–«
    Â»Dem Himmel etwas näher als sonst«, unterbrach Marlon mich erneut. Der Satz wäre kitschig gewesen, hätte seine Stimme nicht so nüchtern geklungen. Fast kalt.
    Â»Irgendwie schon, ja. In jedem Fall lebendiger. Stärker.«
    Â»Verstehe.«
    Den meisten hätte ich das nicht abgenommen, aber ihm glaubte ich. »Warum bist du mir gefolgt?«
    Marlon verschränkte die Finger hinter dem Rücken, was ihn unsicher wirken ließ. »Du warst allein. Das solltest du im Moment nicht sein.«
    Â»Weißt du immer, wo ich mich gerade aufhalte? Oder mit wem?«
    Â»Meistens.«
    Â»Aber ich

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