Himmelsgöttin
erforderlich war, weil er sich ansonsten damit herumschlagen mußte, daß tuba -geschwängerte Theorien und Gerüchte eine Eigendynamik entwickelten und Realität wurden. Er glitt unauffällig auf einen freien Platz im Sand, obwohl einige der jüngeren Männer zusammenrückten und ihm Platz machten, so daß er auf einem Baumstamm hätte sitzen können mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Dann warf er eine Packung Benson & Hedges in die Mitte der Runde, und Favo verteilte die Zigaretten unter den Männern. Manche zündeten sich sofort eine an, andere brachen sie auseinander, um sie zusammen mit Betelnuß zu kauen, und wieder andere steckten sie sich für später hinters Ohr. Doch insgesamt war diese Ablenkung nur von kurzer Dauer, und einer der Johns, einer der Älteren, fragte: »Also, warum hat uns Vincent die Japaner auf den Hals gehetzt?«
Malink wischte die Bemerkung mit einer Handbewegung beiseite, denn schließlich trank er gerade aus der Kokosschale, wobei er ein großes Brimborium um das Wohlbehagen veranstaltete, das ihm dieser erste Schluck bereitete, bevor er die Schale weiterreichte an Abo, der nachschenkte. Dann zögerte er die Antwort noch weiter hinaus, indem er sich mit dem Zippo eine der Bensons anzündete und sich dabei große Mühe gab, daß auch bloß jeder das Feuerzeug sah und sich daran erinnerte, was es damit auf sich hatte, um schließlich nach einem langen Zug an seiner Zigarette zu sagen: »Ich hab keine Scheißahnung.« Dies sagte er auf englisch, denn Englisch war einfach die beste Sprache zum Fluchen.
»Es ist nicht gut«, sagte John.
»Sie sind zum Jungmännerhaus gegangen«, sagte Abo, der sich wie üblich aufregte. »Sie haben die Schenkel unserer Mispel gesehen.«
»Wir sollten sie umbringen«, sagte einer der jüngeren Männer, der nach Vincent benannt war.
»Und sie aufessen!« fügte jemand hinzu – und es war, als ob die Luft aus der Trinkrunde herausgesaugt worden wäre, bevor diese sich zu einem Lynchmob aufplustern konnte.
Alle wandten sich um und sahen Sarapul, der aus dem Schatten trat. Dieses eine Mal war Malink wirklich froh, ihn zu sehen. Der alte Kannibale wirkte wie ausgewechselt, sein Gang war voller Schwung und Elan, und er machte den Eindruck, als sei er mit einem Mal jünger und stärker als zuvor.
»Ich brauche eine Axt«, sagte Sarapul. Die Männer in der Runde, die im Besitz einer solchen waren, betrachteten den Sand oder musterten ihre Fingernägel.
»Wozu?« fragte Malink.
»Das kann ich dir nicht sagen, es ist ein Geheimnis.«
»Du hast doch nicht etwa vor, auf Kopfjagd zu gehen?« sagte Malink. »Dein Menschenfresser-Gerede lassen wir uns gerade noch gefallen, aber wenn's um Kopfjägerei geht, ist Schluß. Solange ich Häuptling bin, gibt's keine Kopfjagden!«
Es erhob sich ein allgemeines Grunzen, das Zustimmung zu den Äußerungen Malinks zum Ausdruck bringen sollte. Und dieser war froh, daß sich ihm die Gelegenheit geboten hatte, seine Führungsrolle in einer Art und Weise zu festigen, die von niemandem in Zweifel gezogen werden konnte. Ein Anthropologe war vor längerer Zeit einmal auf die Insel gekommen und hatte ihm ein Buch über Kopfjäger geschenkt. Malink fühlte sich sehr kosmopolitisch, wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, über dieses Thema zu diskutieren.
Sarapul hingegen war verwirrt. Er hatte niemals das Kopfjägerbuch gelesen, ebensowenig wie irgendein anderes Buch, aber er besaß eine Comic-Ausgabe des Graf von Monte Christo, die ein Matrose ihm in jenen Tagen gegeben hatte, als es den Haifischmenschen noch nicht verboten war, zu den vorbeikommenden Schiffen hinauszuschwimmen. Kimi mußte ihm jeden Abend daraus vorlesen. Was Sarapul daran besonders gefiel, war der Aspekt von Rache und Mord, der sich durch die gesamte Geschichte zog.
Sarapul sagte: »Was ist Kopfjägerei überhaupt? Ich will einfach nur einen Baum fällen!«
»Bäumefällen ist tabu«, sagte einer der jüngeren Männer.
»Ich werde einen besonderen Dispens einholen«, sagte Sarapul und benutzte dabei einen Ausdruck, den er von Vater Rodriguez gelernt hatte.
Malink schüttelte den Kopf. »Das haben wir nicht mehr. So was gab's nur, als wir noch katholisch waren.«
»Ich brauche eine Axt«, sagte Sarapul, gerade so, als wäre es das beste, noch mal von vorne anzufangen. »Und ich brauche die Erlaubnis des großen Häuptlings, um einen Baum zu fällen.«
Malink kratzte sich an einem Mückenstich und betrachtete seine Füße. Es stimmte, daß er die
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