Himmelsjäger: Roman (German Edition)
Filamente krochen durchs Wabern, beobachtete Beth, wie bei einer Barber-Pole-Illusion. Sie konnten jetzt weiter an dem Jet emporsehen, der wie eine glühende Lanze durch die Öffnung in der Schale stach, durch ein Loch, das größer war als die Entfernung zwischen Erde und Mond. Mayra richtete Teleskope und Sensoren auf den Rand der Öffnung. Im Mikrowellenspektrum kam lautes Knacken und Zischen von den hellen Flecken: eingezwängte Elektronen, die protestierend sangen.
Abduss holte die ersten Nahaufnahmen der Schale auf die Schirme, und Cliffs Herz schlug schneller, als er die Aufnahmen sah.
Im roten Schein der turbulenten Sonne präsentierten sich ihnen Objekte, die wie gewaltige Spulen aussahen.
»Sie sind größer als Bergketten«, sagte Abduss leise.
Ohne groß darüber nachzudenken hatte Cliff angenommen, dass die Erbauer der Schale längst tot waren. Aufstieg, Niedergang und Auslöschung – das Schicksal nicht nur von Zivilisationen, sondern ganzer Spezies, geschmiedet auf dem Amboss der Zeit. Das Artefakt vor ihnen musste uralt sein. Aber es funktionierte noch immer. Der Sonnenwind des Sterns wurde zu einem Jet gebündelt und durch die Öffnung gelenkt, beschleunigte das ganze Gebilde auf hohe Geschwindigkeit. Wer hatte sich so etwas einfallen lassen und sogar gebaut?
Beth bekam stärkere Signale im Mikrowellenbereich, ein lauter werdendes elektromagnetisches Summen, als die Entfernung zwischen der Schale und der SunSeeker schrumpfte. Mayra entdeckte einen Nebel aus dünnem Stickstoff am Innenrand der Öffnung, weiter innen als die Spulen.
»Luft?«, fragte Beth laut. Niemand antwortete. Cliff dachte an die Innenfläche der Schale, an einen Bereich millionenfach größer als die Oberfläche der Erde.
Und mehr noch: Durch die brodelnden Refraktionen der Plasmawolke, die das Schiff umgab, war zu erkennen, dass die Schale rotierte.
»Natürlich«, sagte Mayra. »Zentrifugale Gravitation.«
Sie fügten die verschiedenen Messungen zusammen und formten daraus ein Bild auf dem Hauptschirm. Die Ränder des Astlochs, durch den der stellare Jet gleißte, wies rippenartige Strukturen auf.
»Wie bei einer alten Teetasse«, sagte Redwing. »Tassenwelt.«
Eine Zeit lang schwiegen sie alle. Dann sagte Redwing mit gespielter Beiläufigkeit: »Abduss, bitte stellen Sie fest, ob eine Richtstrahl-Nachricht von der Erde eingetroffen ist.«
»Wir empfangen schon seit einer ganzen Weile keine …«
»Sehen Sie nach«, beharrte Redwing mit fester Stimme. Beth verstand: Abduss brauchte Beschäftigung.
Eine neuerliche Vibration ging durch den Boden, begleitet von einem unheilverkündenden Brummen. »Wir haben den Rand des Jets erreicht«, brachte Beth angespannt hervor. »Man könnte sagen, wir … reiten auf der Plasmabrandung.«
Redwing runzelte die Stirn. »Bremsmanöver. Die Magnetfelder neu ausrichten.«
»Roger.« Beths Finger huschten über die Kontrollen.
Die Schale schien noch schneller größer zu werden. »Wir sind beim Jet.« Das Brummen der Vibrationen wurde lauter. »Und … wir werden langsamer. Wir fliegen den Jet hinauf.«
Die SunSeeker begann mit einem schwierigen Wendemanöver. Das Schiff auf seiner Plasmafahne zu drehen erforderte das Geschick eines Eiskunstläufers, kombiniert mit der Agilität eines Akrobaten – es bewegte sich in drei Richtungen, während das Triebwerk noch immer Schub gab. Im interstellaren All bestand der größte Teil des Wasserstoffs aus Gas, das nicht in Ionen und Elektronen aufgespalten war. Dieses Gas ionisierte die SunSeeker mit einer Stoßwelle, die von ihrem oszillierenden magnetischen Schneepflug ausging. Die nach vorn gerichteten Druckwellen packten die vorhandenen Elektronen und schmetterten sie gegen die Wasserstoffgas-Moleküle. Unter den richtigen Voraussetzungen – und die schuf Beth, indem sie die Magnetfelder der Kollektoren immer wieder neu justierte – blieb dem Wasserstoff genug Zeit, in Protonen und Elektronen zu zerfallen. Das Gas »brannte«, verwandelte sich in eine Fackel aus brodelnden Ionen. Dadurch entstand eine Plasmasäule direkt vor dem Schiff, die von den Bussardkollektoren eingefangen und in den Fusionsreaktor geleitet wurde. Der Trick bestand darin, alles genau aufeinander abzustimmen und die verschiedenen Kräfte im Gleichgewicht zu halten.
Die SunSeeker neigte sich um mehrere Grad zur Seite, dem Zielstern entgegen, und kurze Zeit später wurde sie von den Schleiern am Rand des Jets erfasst. Ein plötzlicher Ruck ging durch das Schiff,
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