Himmelsjäger: Roman (German Edition)
Sache dort besteht darin, dass unsere immer schlauer werdenden Maschinen Wetten einfordern. Wie sieht der Ruhestand für einen multikapillaren DNS -Sequenzer aus?«
Beth lachte, und in ihren Augen funkelte es. »Ich habe eine Prioritätsanfrage von SSC bekommen; darin werde ich um meine Meinung darüber gebeten, welche Schauspielerin mich in der Serie darstellen soll.«
»Die brauchen wir uns wenigstens nicht anzusehen.«
Beth zeigte auf den Schirm. »Ich denke immer wieder daran, dass ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde, wie der warme Wind an einem Nachmittag im Spätsommer weiße Gardinen an einem offenen Fenster bewegt. Ich werde schon melancholisch, obwohl wir noch gar nicht losgeflogen sind.«
»Ich werde das Surfen vermissen.«
»Auf Glory gibt es Meere. Und einen Mond, wenn auch einen kleinen. Vielleicht genügt er, um ausreichend hohe Wellen zu schaffen.«
»Ich lasse mein Surfbrett zurück.«
Cliff stellte zufrieden fest, dass wieder Eis im Arktischen Ozean zu sehen war – langsam ging die Heißzeit auf der Erde zu Ende. Der riesige Eisblock, der sich vor einem Jahrhundert von der Antarktis gelöst und all die Überflutungen verursacht hatte, wuchs langsam nach. Die Inseln im Pazifik blieben verschwunden, und vielleicht würden sie, abgetragen von den Wellen, nie wieder zum Vorschein kommen. Dort konnte niemand mehr surfen.
Er bemerkte eine Phalanx aus Offizieren in blauen Uniformen mit goldenen Litzen. Sie hatten Aufstellung bezogen: Männer und Frauen aus der Oort-Crew, die nicht an Bord der SunSeeker gehen würden und aus zeremoniellen Gründen zugegen waren. Die für den Flug nach Glory vorgesehenen hagereren Crewmitglieder standen hinter einem großen Mann mit zerfurchtem Gesicht, der im Scheinwerferlicht blinzelte und noch immer nicht sicher zu sein schien, ob er sich am richtigen Ort befand.
»Captain Redwing möchte zu Ihnen sprechen«, ertönte die Stimme eines Deck-Lieutenants aus den Lautsprechern. Alle drehten sich zum Banner um, auf dem geschrieben stand:
LEBT WOHL, DIE IHR VERRÜCKT NACH DEN STERNEN SEID!
Redwing trug seine Paradeuniform, behangen mit glänzenden Medaillen, und sein rötliches Gesicht strahlte alle an. Cliff hatte gehört, dass er von der Frau geschieden war, die ihn begleiten sollte, aber die Hintergründe kannte er nicht. In Habachtstellung stand er da und nickte einigen Junioroffizieren zu. Das freundliche Lächeln, offenbar für alle Anwesenden bestimmt, verschwand nicht von seinen Lippen. Er wirkte imposant in seiner Uniform, ein Mann, der Autorität verkörperte.
»Zeit zu gehen, schätze ich«, flüsterte Cliff und versuchte, sich unauffällig der Tür zu nähern. Dabei warf er der Erde auf dem Schirm einen letzten Blick zu.
»Die letzte Nacht vor den getrennten Quartieren«, sagte Beth. »Kommst du zu mir?«
»Oh, klar, zu Befehl, Ma’am.«
»Es ist Tradition, denke ich.«
»Tradition? Wo?«
»Überall dort, wo es Samstagnacht ist.«
Sie schoben sich langsam durch die Menge, und ein seltsames Gefühl erfasste Cliff. Der Lärm der Party, die Musik, die Drinks, all die Umarmungen und Küsse, die vielen Gesichter voller Hoffnung, Freude und auch Trauer … Er verspürte den Wunsch, alles in Bernstein zu gießen und für die Zukunft zu bewahren.
Was er hier erlebte, war auf sonderbare Art und Weise eine … Geistergeschichte. All diese Leute, sympathisch, lästig, übereifrig und sexy – sie alle würden bald tot sein, ein Teil der Vergangenheit. Wenn er zusammen mit den anderen Besatzungsmitgliedern im Orbit von Glory erwachte, würden mehr als die Hälfte dieser Leute seit Jahrhunderten tot und zu Staub zerfallen sein, trotz einer durchschnittlichen Lebenserwartung von inzwischen 160 Jahren.
Er hatte es von Anfang an gewusst, und das war eine Sache, aber jetzt fühlte er es. Wenn sie erwachten, lag all das hier weit, weit hinter ihnen.
Cliff lächelte ein dünnes, blasses Lächeln und dachte: Ich sehe die Erde jetzt zum letzten Mal. Er betrachtete sie noch einmal auf dem Schirm, bewunderte ihre ruhige, stille Erhabenheit, seufzte dann voller dunkler Vorahnungen und folgte Beth hinaus.
ERSTER TEIL
»Der Besitz von Wissen tötet nicht
das Gespür für Wunder und Geheimnis.
Er schafft noch mehr Geheimnisse.«
ANAÏS NIN
1
Leben ist beharrlich.
Er erinnerte sich an diese Worte, an sein nervöses Mantra, an das er gedacht hatte, wenn der weiche Schlaf mit kalten Fingern kam …
Und so wusste er, dass er lebte. Dass er wieder wach war,
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