Himmelsjäger: Roman (German Edition)
Schwerkraft, wie in Zeitlupe. Alles blieb still dabei.
Tananareve hielt sich fest und beobachtete, wie das Geschöpf unten aufschlug, wie es sich einer Katze gleich duckte, den Aufprall mit den langen, krummen Beinen abfederte … und sich abstieß.
Es sprang an der Barriere empor, verfehlte Tananareve und fiel wieder, aber vermutlich würde es einen neuerlichen Versuch unternehmen, vielleicht mit mehr Erfolg.
Tananareve zog sich hoch und spähte auf der anderen Seite der Barriere nach unten. Ihre Gefährten sahen zu ihr hoch, hundert Meter tief unten. Sie winkten und riefen, aber der Puls hämmerte so laut in Tananareves Ohren, dass sie kein Wort verstand.
Der Arachno kam erneut, und Tananareve fragte sich, ob er imstande war, an der glatten Wand Halt zu finden. Sie wollte nicht abwarten, bis sie eine Antwort auf diese Frage bekam.
Ein Baumwipfel befand sich etwa fünfzig Meter unter ihr, mit dichtem Laubwerk und nur wenigen sichtbaren Ästen. In dieser geringen Schwerkraft …
Keine Zeit für genaue Berechnungen. Tananareve stieß sich ab, ließ los und fiel, dem Wipfel entgegen.
Sie drehte sich, während sie fiel, damit sie den Baumwipfel mit den Füßen voran erreichte. Blätter schlugen nach ihr, Zweige brachen unter ihren Stiefeln, und einer schlug ihr mitten ins Gesicht. Sie prallte auf einen dickeren Ast, und ihre Rippen protestierten mit jähem Schmerz. Mit dem Kopf voran kam sie aus dem Wipfel, und irgendwie gelang es ihr, sich erneut zu drehen.
Der Aufprall auf den Boden brachte neuen Schmerz. Tananareve rollte sich ab, hielt dabei nach dem Arachno Ausschau.
Der letzte Sprung hatte ihn ganz offensichtlich über die Barriere hinweggetragen, denn er fiel ebenfalls durch den Baumwipfel, in einem Regen aus zerrissenen Blättern und gesplittertem Holz. Wenige Sekunden später landete das große Geschöpf neben ihr.
Beth jagte ihm mehrere Laserstrahlen in den Kopf. Der Arachno zitterte, heulte … und lag plötzlich reglos und still.
Tananareve drehte den Kopf, blickte durch die transparente Barriere und sah Abduss auf der anderen Seite liegen, so reglos wie der Arachno.
FÜNFTER TEIL
»Nichts in der Biologie ist sinnvoll,
außer im Licht der Evolution betrachtet.«
THEODOSIUS DOBZHANSKY
27
Die Zitadelle des Gedenkens war größer als in Memors Erinnerungen aus ihrer lange zurückliegenden frühen Zeit. Die hohen Wälle ragten wie Berge über der Versammlung auf. Nebelschwaden zogen träge dahin, erfüllt von blasser Lumineszenz, die zusammen mit dem Dunst zu bernsteinfarbenen Fingern zerfaserte. Memor sah sich um, bewunderte die letzten Erweiterungen der Zitadelle und fühlte die immensen Kräfte an diesem Ort, die sich nicht so sehr wie Macht anfühlten, sondern mehr wie eine Naturgewalt. Dahinter steckte natürlich Absicht.
Dass die Zitadelle zum Ort ihrer Hinrichtung werden konnte, änderte kaum etwas an ihrer Ehrfurcht. Stattdessen vermittelte ihr dieses Wissen eine seltsame Mischung aus Furcht und prickelnder Aufregung, eine emotionale Mixtur, die dem Untergeist gefiel. Sie spürte seine summende, vibrierende Präsenz und begriff, dass sie ihn sorgfältig unter Kontrolle halten musste. Der Untergeist konnte in seinem Eifer Worte und ganze Sätze in ihre Rede einstreuen. Und eifrig war er gewiss; ganz deutlich fühlte sie die Ranken der Hoffnung in ihm. Dramatik war im Leben eines Astronomen selten.
Memor bewegte die Füße auf die vorgeschriebene Art und Weise, sprach die richtigen Formeln und brauchte dabei kaum auf die Hilfe des Untergeistes zurückzugreifen.
Sie wahrte einen gewissen Abstand zu den langsam gehenden Astronomen weiter vorn und genoss den ihr geltenden trompetenden Salut. Sie nutzte ihn immer als Maßstab der allgemeinen Stimmung, und heute erschien diese ihr gereizter als sonst. Einige Astronomen starrten einander finster an, während andere schwiegen; ihr Gefieder zeigte gedämpfte Töne. Kleine Lieder tanzten hier und dort in den dumpfen Farben, die den Saal durchzogen. Sie kamen von einigen jungen Männlichen, die schnell gingen und laut und freudig grüßten.
Memor erinnerte sich an ihre männliche Existenz, die eine sehr lebhafte Phase gewesen war. Anschließend hatte die Memor der wilden Leidenschaften und großen Eroberungen ihre Offenbarung erlebt, einen Übergang voller Inbrunst und Mühsal. Glücklicherweise hatte der Wandel selbst die meisten Erinnerungen an jene schwere Zeit getilgt. Es blieben die Lektionen, die sie als männliches Wesen gelernt hatte,
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