Himmelsmechanik (German Edition)
zerstoßenen Abhänge. Wobei sie Staub aufwirbeln wie ein Sturm und es Kies und Steine hagelt. Niemand sagt etwas, wenn sie vor Arbeitsbeginn eine halbe Flasche kippen; wenn sie wieder herunterkommen, ist ihre Kehle so von Marmorstaub verstopft, dass sie nicht einmal sprechen können, ohne sich die Lunge aus dem Leib zu spucken. So trinken sie die Flasche zu Ende und gurgeln dabei. Sie haben geschwitzt, und der Staub ist auf dem Gesicht und auf den Armen verkrustet, und wenn Sommer ist, auch auf dem Rücken und auf der Brust, die bei ihnen aus Tradition nackt ist. Wenn sie sich gewaschen haben, sieht man, dass sie am ganzen Körper Schrammen haben, und du siehst auch, dass allen ein Finger oder ein Zeh fehlt. Normalerweise.
Nur selten brechen sie sich den Hals und sterben; oder noch seltener sterben sie, weil sie ein Kabel zerschneidet, das von einer Winde abgesprungen ist, oder weil sie sich mit der Sprengstoffkammer zu viele Freiheiten herausgenommen haben. Wenn sie jemals den Fuß in eine Kirche setzten, würdest du die
tecchiaioli
auch dort erkennen, auch in Hemd und Hut. Und du erkennst sie am Tag ihrer Hochzeit und bei jeder anderen Gelegenheit. Am Staub unter den Fingernägeln, an den Narben, aber vor allem daran, wie sie die Augen zusammenkneifen und alles etwas schief anschauen, um es zu bestimmen und seine Unsicherheit und seine Gefahr abzuschätzen. Und daran, wie sie sich beim Gehen nach vorn beugen, mit geradem federnden Schritt, dreist und selbstbewusst. Und natürlich fühlen sie sich als das, was sie sind: Helden. Mit unberechenbarer Laune und verzweifelt, kurzsichtig und selbstgefällig, beschränkt und großherzig wie die Helden. Das denken alle, die sich in der Umgebung der Höhlen, der Arbeit und des Glücks und des Unglücks bewegen, das daraus folgt. Aufgrund dessen, was diese Menschen über Heldentum wissen. Das denken sogar ihre Arbeitgeber.
Natürlich wollen sie im Austausch gegen das Viele, was sie geben, auch gut und ohne viel Gerede bezahlt werden. Das letzte Mal erneuerten sie ihren Tarifvertrag im Steinbruch oberhalb ihres Dorfes, sie hatten Probleme mit den neuen Chefs, Leute von einer multinationalen Gesellschaft. Da sie zu keinem Abschluss kamen, nahmen sie ihren Chefingenieur, banden ihn ordentlich fest und ließen ihn in die Höhle eines alten Bruchs hinab. Und dort ließen sie ihn eine Nacht lang baumeln. Als sie ihn wieder hochzogen, bevor er ihnen vor Kälte und Angst starb, ging einer ihrer Pfarrer los und schloss sehr schnell die Verhandlung ab und setzte selbst die Unterschriften, die gesetzt werden mussten.
Ich kenne diesen Pfarrer, manchmal kommt er hier vorbei und grüßt uns, wenn er auf die Jagd geht. Ich weiß nicht, wie alt er genau ist, aber sicherlich älter als achtzig; er hat seit mehr als einem halben Jahrhundert auch die Pfarrei von Fabbriche, und ich sah ihn schon mit Gummistiefeln herumlaufen, als ich noch ein kleiner Junge war. Auch damals war er so hager wie heute und seine Gesichtshaut hatte schon eine fast braune Farbe; er machte mir sogar etwas Angst, denn zumindest sein Schädel war genau wie der der Mumie von San Pellegrino. Doch während San Pellegrino ganz in Gold und Seide gekleidet war, trug er nur ein schwarzes Priestergewand, und wenn es kalt war, eine dicke Lederjacke über dem Gewand. Das Gewand ist immer das gleiche, selber Schnitt, selbes Modell; auch wenn er nie einen Schneider fand, der es ihm in der richtigen Größe anfertigte, denn ich habe es an ihm immer zu kurz und zu weit gesehen. Es hat nie einen guten Eindruck gemacht, aber ich bin sicher, dass es für ihn in Ordnung ist, denn es ist die ideale Tracht, um sich ohne Behinderung in den Schluchten zu bewegen, wo er Hirsche jagen geht. Er hat sich auch nie richtig rasiert, und auch das macht keinen guten Eindruck; vor allem nicht jetzt, wo dieses Sandpapier, das seine Kopfhaut bedeckt, weiß ist und im Sonnenlicht glänzt wie eine Krankheit.
Er geht allein zur Jagd, so ist er immer gegangen. Er steckt sich eine Handvoll Patronen in eine Tasche seines Gewands und ein Stück Brot mit etwas dazu in die andere und geht los. Er hat ein wunderschönes Gewehr, sehr alt, aber besser erhalten als der Allerheiligste; wenn es nicht zu kalt ist, bleibt er zum Schlafen im Wald, besonders in den letzten Jahren, wo er nicht mehr seine Lederjacke hat, sondern eine Windjacke von einer großen Marke in futuristischem Stil, die ihm seine Gemeindemitglieder geschenkt haben. Auch die ist schön weit, aber
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